Active Sourcing – Das Allheilmittel auf der Suche nach neuen Mitarbeitenden?
von Katharina Dabrock (2. Semester Master Psychologie – Human Performance in Sociotechnical Systems, Technische Universität Dresden)
„Hallo Herr/Frau xy, ich bin auf Ihr Profil aufmerksam geworden und möchte mich gerne mit Ihnen zu unseren Einstiegsmöglichkeiten austauschen.“ Eine solche oder ähnlich klingende Nachricht haben wir bisher sicherlich nicht nur einmal in unserem XING- oder LinkedIn-Postfach vorgefunden. Nicht verwunderlich, suchen doch zahlreiche Klein-, Mittelständische- und Großunternehmen über Social-Media-Kanäle nach potenziellen neuen Mitarbeitenden (Statista, 2021a). In diesem Blogartikel sollen, nach einer allgemeinen Einführung in das E-Recruiting und Active Sourcing, die Herausforderungen und Konsequenzen, die diese Form des Recruiting mit sich bring, genauer betrachtet werden. Im Anschluss daran werden praktische Implikationen abgeleitet, die Unternehmen nutzen können, um ihr Active Sourcing zu optimieren.
Fachkräftemangel, demografischer Wandel, Generation Y und Social Media – 4 Begriffe, die uns mittlerweile nicht mehr fremd sind. Und warum diese Begriffe im Rahmen des Recruitings relevant sind, liegt fast schon auf der Hand. Unternehmen haben aufgrund des demografischen Wandels mit einem immer größer werdenden Fachkräftemangel zu kämpfen. Sie sind nicht mehr in der Machtposition und konkurrieren um qualifizierte Mitarbeitende. Um die Generation Y für das eigene Unternehmen zu begeistern, reicht es schon lange nicht mehr aus, Stellenanzeigen in örtlichen Zeitungen zu veröffentlichen und auf Karrieremessen präsent zu sein. So hat sich in den letzten Jahren der Trend zum E-Recruiting entwickelt. Darunter versteht man, dass der gesamte Bewerbungs- und Einstellungsprozess internetbasiert unterstützt wird (Konradt & Sarges, 2020). Dazu gehört unter anderem die Kontaktierung potenzieller Mitarbeitenden über Social-Media-Kanäle wie Facebook, XING, LinkedIn und Co. Hiermit soll erreicht werden, dass Personalabteilungen nicht mehr passiv auf den Eingang von Bewerbungen warten, sondern sie sich aktiv auf die Suche nach geeigneten Kandidatinnen und Kandidaten begeben und sie im Rahmen des sogenannten Active Sourcings ansprechen. (Dannhäuser, 2017) In diesem Blogartikel möchte ich gerne der Frage nachgehen, wie das optimale Active Sourcing ablaufen sollte, welche Herausforderungen Unternehmen bei diesem entgegenstehen und mit welchen Konsequenzen sie zu rechnen haben.
Das Optimum. So sollte es laufen.
Informiert man sich online über den idealen Ablauf des Active Sourcings, findet man zahlreiche Erklärvideos von Anbietern wie dem Talentmanager von Xing oder LinkedIn. Aber auch in Lehrbüchern wird die Thematik mittlerweile umfassend erläutert. Beispielsweise wird der Prozess von Dannhäuser und Braehmer (2017) in drei Phasen eingeteilt, die bestenfalls iterativ ablaufen.
1 Die Vorbereitungsphase stellt dabei einen wichtigen Grundstein dar. In dieser Phase ist es die Aufgabe der Sourcer, sich mit der zu besetzenden Stelle genauer zu beschäftigen und sich mit dem Fachbereich abzustimmen. Die Sourcer sollen ein umfassendes Bild eines idealen Profils erhalten, um optimal nach Profilen suchen zu können. Hierzu ist es notwendig, sich mit Mitarbeitendem aus dem Fachbereich auseinanderzusetzen.
2 In der zweiten Phase, der Identifikationsphase, sollen die entsprechenden Profile über die Social-Media-Kanäle gefunden werden. Hierzu werden von Unternehmen meist nicht die kostenlosen Versionen von Xing oder LinkedIn verwendet, sondern die Versionen, die speziell für das Active Sourcing entwickelt wurden. Beispielsweise ist hier der XING Talentmanager, LinkedIn Recruiter oder das StepStone CV-Center zu nennen. Jedes Unternehmen sollte dabei für sich entscheiden, welche Plattform für die eigenen Zwecke am besten geeignet ist. Über diese Tools gibt es meist zwei Möglichkeiten, um entsprechende Profile zu finden. Zum einen gibt es Filtermöglichkeiten, mit denen durch das Ankreuzen bestimmter Kästchen, Profile inkludiert oder exkludiert werden. Zum Beispiel stellen die Region, die Dauer der bisherigen Arbeitstätigkeit oder die Karrierestufe mögliche Filteroptionen dar. Zudem wird empfohlen, über Boolesche Operatoren zu suchen. Hierzu werden Begriffe, wie beispielsweise Consulting, IT, Elektrotechnik mit AND oder OR verbunden, damit das Tool weiß, welche Begriffe in den Profilen auf jeden Fall vorhanden sein sollten. Um passende Suchbegriffe zu identifizieren, sollte hierbei auf die erste Phase zurückgegriffen werden. Oftmals reicht es nicht aus, nur Schlagworte aus Stellenausschreibungen zu verwenden, weshalb der vorherige Austausch mit dem Fachbereich so wichtig ist. Der Talentmanager von XING bietet beispielsweise die Möglichkeit, passende Profile in entsprechenden Gruppen zu speichern, damit sie später leichter wiedergefunden werden können.
3 Die dritte Phase des Active Sourcings stellt die Kontaktphase dar, in der passende Personen von Sourcern angeschrieben werden. Um eine hohe Antwortquote zu erhalten, sollte die Ansprache möglichst individuell erfolgen. Vorgefertigte Texte eignen sich hierzu nicht, beziehungsweise sollten an jedes Profil individuell angepasst werden. Zudem sollten Unternehmen die Offenheit haben, über unterschiedliche Kanäle mit den Kandidatinnen und Kandidaten zu kommunizieren. Die eine Person schreibt lieber, eine andere bevorzugt es zu telefonieren und wieder eine andere Person sucht das persönliche Gespräch. Des Weiteren empfiehlt es sich, einen Talentpool aufzubauen, dem Personen beitreten können, die aktuell keine Wechselbereitschaft haben, grundsätzlich aber schon Interesse an dem Unternehmen bekunden. So kann der Kontakt bestehen bleiben und die Mitglieder werden regelmäßig über neue Stellenanzeigen oder Informationen über das Unternehmen informiert. (Dannhäuser & Braehmer, 2017)
Herausforderungen und Konsequenzen des Active Sourcings
Der oben dargestellte optimale Ablauf klingt auf den ersten Blick nachvollziehbar und einfach umzusetzen. Schaut man nun aber tiefer ins Detail, stellt er Unternehmen vor unterschiedliche Herausforderungen. Zahlreiche dieser Herausforderungen und Konsequenzen sind von Lang et al. ( 2011) zusammengetragen worden. Auf einzelne dieser Aspekte möchte ich nun eingehen.
Zunächst einmal stellt sich die Frage, welches Portal für das eigene Unternehmen das geeignetste ist. Einige Social-Media-Portale sind eher lokal anzusehen, wie beispielsweise XING, andere Portale haben den Ruf, internationaler zu sein (LinkedIn). Wieder andere Portale haben sich inhaltlich spezialisiert. Stack Overflow (o.D.) hat den Schwerpunkt auf IT-Entwicklung gelegt, wobei der Fokus nicht auf dem Lebenslauf, sondern auf den Programmierkenntnissen liegt. Hier zeigt sich wieder, wie wichtig die Vorbereitungsphase ist, in der ein genaues Bild über die Zielgruppe angefertigt werden sollte. Es zeigt sich an dieser Stelle jedoch auch, wie wichtig es ist, die einzelnen Social-Media-Kanäle und deren Zielgruppen zu kennen, um den passenden Kanal auswählen zu können. Es ist wichtig, dass das Portal von der Zielgruppe potenzieller Mitarbeitender gut genutzt wird und bekannt ist (Lee, 2007). Hier fügt sich auch direkt eine weitere Herausforderung an. Schließt man durch den Einsatz von E-Recruiting bzw. Active Sourcing nicht potenzielle Kandidatinnen und Kandidaten aus – zum Beispiel, weil ihr Profil nicht richtig gepflegt ist oder sie ihren Lebenslauf nicht öffentlich preisgeben möchten? Zudem sind auf den unterschiedlichen Social-Media-Kanälen unterschiedliche Altersklassen vertreten. Die meisten Nutzer:innen bei Xing sind beispielsweise zwischen 35 und 49 Jahre alt (Statista, 2021b). Diese Plattform scheint also für Personen, die am Berufsanfang stehen oder schon viel Berufserfahrung haben, eher ungeeignet zu sein. Ein weiterer wichtiger Punkt, der bei der Wahl der richtigen Kanäle nicht unberücksichtigt bleiben sollte, sind die Lizenzkosten. Diese betragen bei XING beispielsweise über 300 € monatlich, wobei eine Mitgliedschaft von 12 oder 24 Monaten abgeschlossen werden muss (XING, o.D.). Dies kann besonders für kleine und mittelständische Unternehmen eine große finanzielle Herausforderung darstellen.
Der Einsatz von E-Recruiting bzw. Active Sourcing hat jedoch nicht nur einen Einfluss auf die Unternehmen, sondern auch auf potenzielle Bewerberinnen und Bewerber. Chapman und Webster (2003) stellten fest, dass Bewerberinnen und Bewerber durch den Einsatz von E-Recruiting-Maßnahmen den Eindruck gewinnen, ihre Individualität für das Unternehmen zu verlieren. Nicht verwunderlich, passen doch viele Unternehmen ihre Anschreiben nicht individuell an. Zudem kann E-Recruiting zur Konsequenz haben, den persönlichen Kontakt zwischen Unternehmen und potenziellen Mitarbeitenden zu verringern oder ganz zu verlieren. Gerade Active Sourcing verleitet dazu, überwiegend über die Chatfunktionen der Anbieter:innen mit den Kandidatinnen und Kandidaten zu kommunizieren und nicht, wie früher vielleicht, ein persönliches Gespräch oder zumindest ein Telefonat für Rückfragen zu vereinbaren. Dennoch bewerten sieben von zehn Unternehmen und sechs von zehn Stellensuchenden die Nutzung von Social-Media im Recruiting als positiv (Weitzel et al., 2016). Interessanterweise möchten 45 % der Stellensuchenden lieber von einem Unternehmen angesprochen werden, als sich aktiv bei einem Unternehmen zu bewerben – vielleicht auch, weil es als ein Zeichen der Wertschätzung angesehen werden kann, aktiv von einem potenziellen Arbeitgeber identifiziert und kontaktiert worden zu sein (Weitzel et al., 2016).
Lessons Learned. Das können sich Unternehmen abgucken.
Grundsätzlich lässt sich sagen, dass Active Sourcing Unternehmen einen Mehrwert bieten kann. Unter Berücksichtigung möglicher Kosten bei gleichzeitiger Einsparung, beispielsweise von Headhuntern, ist die Präsenz auf Social-Media-Kanälen für Unternehmen heute mittlerweile Alltag.
Und das nicht nur, um die Generation Y anzusprechen. Wir haben erfahren, dass eine vorherige Analyse der zu besetzenden Stelle sowie der Zielgruppe essentiell für den Erfolg von Active Sourcing sind. Eine individualisierte Ansprache und die Offenheit für weitere Kommunikationswege, wie beispielsweise ein persönliches Gespräch, kann die positive Einstellung vieler Stellensuchender unterstützen.Active Sourcing via Social Media also als Allheilmittel? Das wäre zu viel versprochen. Social Media Aktivitäten von Arbeitgeber:innen können die Reichweite erhöhen und die Aufmerksamkeit auf sich lenken. Die Nutzung von Social Media ist bei Stellensuchenden allerdings (noch?) weniger populär als die klassische Karrierehomepage der Unternehmen, um sich über Stellen zu informieren, Kontakt aufzunehmen oder sich gar zu bewerben. Der alleinige Fokus sollte daher nicht auf dem Bereich Social Media liegen (Lewis et al., 2015). Zudem sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass auch Personen, die sich aufgrund einer Active Sourcing Ansprache auf eine Stelle bewerben, trotzdem den ursprünglichen Bewerbungsprozess durchlaufen sollten. Schließlich kann ein Profil auf XING, LinkedIn und Co. sowie ein paar nett formulierte Chatnachrichten keinen validen Personalauswahlprozess ersetzen.
Abschließend lässt sich sagen, dass Active Sourcing die oben genannten und zahlreiche weitere Herausforderungen und Konsequenzen mit sich bringt, die vorab bedacht werden sollten. Wenn es aber gut geplant und durchgeführt wird, kann es zu Einstellungen führen und so offene Stellen in Unternehmen besetzen.
Chapman, D. S. & Webster, J. (2003). The Use of Technologies in the Recruiting, Screening, and Selection Processes for Job Candidates. International Journal of Selection & Assessment, 11(2-3), 113–120. https://doi.org/10.1111/1468-2389.00234
Dannhäuser, R. (2017). Trends im Recruiting. In R. Dannhäuser (Hrsg.), SpringerLink Bücher. Praxishandbuch Social Media Recruiting: Experten Know-How / Praxistipps / Rechtshinweise (3. Aufl., S. 1–40). Springer Gabler.
Dannhäuser, R. & Braehmer, B. (2017). Active Sourcing in der Praxis. In R. Dannhäuser (Hrsg.), SpringerLink Bücher. Praxishandbuch Social Media Recruiting: Experten Know-How / Praxistipps / Rechtshinweise (3. Aufl., S. 407–434). Springer Gabler.
Konradt, U. & Sarges, W. (2020). Suche, Auswahl und Förderung von Personal mit dem Intra- und Internet: Strategien, Zielrichtungen und Entwicklungspfade. In T. Ver-hoeven (Hrsg.), Springer eBook Collection. Digitalisierung im Recruiting: Wie sich Recruiting durch künstliche Intelligenz, Algorithmen und Bots verändert (S. 3–16). Springer Gabler.
Lang, S., Laumer, S., Maier, C. & Eckhardt, A. (2011). Drivers, challenges and consequences of E-recruiting. Proceedings of the 49th SIGMIS annual conference on Computer personnel research, 26–35. https://doi.org/10.1145/1982143.1982152
Lee, I. (2007). An architecture for a next-generation holistic e-recruiting system. Communications of the ACM, 50(7), 81–85. https://doi.org/10.1145/1272516.1272518
Lewis, A., Thomas, B. & James, S. (2015). A critical analysis of the implementation of social networking as an e-recruitment tool within a security enterprise. Cogent Business & Management, 2(1), 1104904. https://doi.org/10.1080/23311975.2015.1104904
Stack Overflow. (o. D.). Where Developers Learn, Share & Build Careers. Abgerufen am 28. Juli 2022, von https://stackoverflow.com/
Statista. (2021a, November 10). Umfrage zur aktiv Suche nach Kandidaten in sozialen Medien in Deutschland 2018. Abgerufen am 28. Juli 2022, von https://de.statista.com/statistik/daten/studie/914866/umfrage/aktive-suche-nach-kandidaten-in-sozialen-medien-nach-unternehmensgroesse-in-deutschland/
Statista. (2021b, November 10). Verteilung der Nutzer von Xing nach Alter und Geschlecht in Deutschland 2016. Abgerufen am 28. Juli 2022, von https://de.statista.com/statistik/daten/studie/655768/umfrage/verteilung-der-nutzer-von-xing-nach-alter-und-geschlecht/
Weitzel, T., Laumer, S., Maier, C., Oehlhorn, C., Wirth, J., Weinert, C., & Eckhardt, A. (2017). Active Sourcing und Social Recruiting. Themenspecial der Ergebnisse der Studie Recruiting Trends, 19-27
XING. (o. D.). Willkommen im XING E-Recruiting Shop. XING E-Recruiting. Abgerufen am 28. Juli 2022, von https://recruiting.xing.com/de/shop/customer-settings