Exzellenz im Olympischen Sport
von Joschiko-Emily Eckstein, Martina Dulik und Pauline Voigt (2. Semester Master Psychologie – Human Performance in Sociotechnical Systems, Technische Universität Dresden)
Was hat ein Olympiasportler mit Personalpsychologie zu tun? Zweifelsohne bewegt er sich in einem Feld, welches einige große Forschungsfragen der Personalpsychologie umfasst: Exzellenz und Expertise. In einer kurzen Einführung definieren wir Expertise und stellen zwei vieldiskutierte Ansätze zu der Frage vor, wie sie entsteht: Durch „Innate Talent“ oder „Deliberate Practice“? Unter anderem zu dieser Frage interviewen wir auch Philipp Herder, der seit 20 Jahren Hochleistungsturner ist. Wir erhielten einen anschaulichen Einblick in seinen persönlichen Weg zum Experten, seine Perspektive auf die „Innate Talent“- vs. „Deliberate Practice“- Debatte sowie Ratschläge rund um das Thema Exzellenz. Im Anschluss fassen wir die Erkenntnisse aus unserem Gespräch zusammen und leiten Implikationen für die Praxis ab.
Einführung: Expertise
Expert:innen sind Individuen, welche überragende Leistungen in einer bestimmten Domäne vollbringen. Um der Definition zu entsprechen müssen diese Leistungen dabei stabil sein und auf Fähigkeiten und Fertigkeiten des Individuums zurückgeführt werden können (Ericsson & Simon, 1991). Expertise setzt sich im Allgemeinen aus drei Teilen zusammen. Zum einen müssen Expert:innen konstant eine bessere Performanz als Noviz:innen zeigen. Außerdem muss Expertise konkrete Ergebnisse erzeugen, also muss beispielsweise eine Schachexpert:in seine/ihre Spiele auch größtenteils gewinnen. Zudem muss Expertise replizierbar und messbar sein (Ericsson, Prietula, & Cokely, 2007).
In der Expertiseforschung wird schon lange die Frage untersucht, ob angeborenes Talent (Innate Talent) eine Voraussetzung für die Entwicklung von Expertise ist.
Innate Talents sind angeborene Talente, welche sich schon im frühen Alter bemerkbar machen (Winner, 2002). Einen der ersten theoretischen Ansätze dazu stellte Galton (1865) bereits im 19. Jahrhundert auf. Er ging davon aus, dass natürliche Fähigkeiten einen wichtigen Faktor bei der Entwicklung von Expertise darstellen.
Um höhere Perfomanzniveaus erreichen zu können, brauche es zwar auch Training, jedoch gebe es für jede Person eine unveränderliche Leistungsgrenze, welche durch angeborene Faktoren bestimmt werde (Galton, 1865; Ericsson, Nandagopal, & Roring, 2005). Allerdings sprechen einige Fakten gegen die Annahme, dass vor allem angeborene Talente bestimmen, ob man Expertise erreichen kann oder nicht. Zum einen zeigte sich, dass sich Performanz graduell über die Zeit entwickelt und Expertise erst nach Jahren intensiver Übung (unabhängig davon, wie talentiert man in der spezifischen Domäne ist) entsteht. Außerdem ist die durchschnittliche Perfomanz in einigen Domänen, beispielsweise im Sport, über die letzten Jahrzehnte hinweg stark angestiegen. Dies berücksichtigend müsste sich die unveränderliche Leistungsgrenze im Durchschnitt stark verschoben haben. Dafür gibt es jedoch keinerlei logische Erklärungen (Ericsson et al., 2005).
Ericsson, Krampe & Tesch-Römer (1993) betonten als Gegensatz zur Innate Talent Annahme, dass Expertise insbesondere durch eine hohe Anzahl langwieriger, hochqualitativer Trainings (Deliberate Practice) entstehe.
Deliberate Practice sollte insbesondere Elemente der zu meisternden Domäne umfassen, welche man noch nicht bzw. noch nicht gut kann. Um effizient zu üben, sollte die Motivation der trainierenden Person geweckt, Vorwissen einbezogen, ständig informatives Feedback bezüglich der Leistung gegeben und fortlaufend geübt werden. Für die meisten Domänen (z.B. Sport, Wissenschaft, Kunst) dauert es mindestens zehn Jahre bei der Anwendung von Deliberate Practice, um Expertise zu erreichen (Ericsson et al., 1993).
Doch auch dies erklärt das Entstehen von Expertise noch nicht zur Genüge. Weitere Faktoren wie die Persönlichkeit (z.B. Motive, Selbstregulation), die Umgebung (z.B. Unterstützung, Lernumfeld), die Zielsetzung und das Feedback spielen eine wichtige Rolle. Jedoch ist anzumerken, dass sich die verschiedenen Domänen darin unterscheiden können, was nötig ist, um Expertise zu erreichen (Ericsson et al., 2005). Um im Sport ein Hochleistungsniveau zu erreichen, ist Expertisebildung ausschlaggebend. Wenn man beispielsweise die Olympischen Spiele betrachtet, findet man unter den Teilnehmer:innen keine Noviz:innen, welche ab und zu gerne Sport machen, sondern ausschließlich Menschen, welche sich jahrelang auf diesen Wettkampf vorbereitet haben. Sportlerinnen und Sportler erreichen ihren Leistungshöhepunkt meist in ihren 20ern nach Jahren intensiven Trainings. Verschiedene Studien zeigen außerdem einen Zusammenhang zwischen der Menge und Qualität an Deliberate Practice und der Performanz in Sportarten (e.g. Ericsson et al., 2003) sowie in anderen Domänen wie Medizin und Softwaredesign (Ericsson et al., 2005). In weiteren Studien zeigte sich, dass Leistungssportler:innen eine höhere Leistungsmotivation zeigen (e.g. Elbe, Wenhold & Müller, 2005) als Breitensportler:innen. Außerdem konnte erwiesen werden, dass eine bessere Selbstregulation (Selbstmotivation, Coping mit Niederlagen, Konzentration, Beibehalten von Motivation etc.) zu effektiverer athletischer Performanz führt und dass athletische Aktivitäten wiederum die Selbstregulation positiv beeinflussen (MacArthur, North, 2005; Szymanski, Beckmann, Elbe, 2004). MacArthur & North (2005) konnten jedoch auch zeigen, dass die genetische Disposition einen Einfluss auf die athletische Performanz hat. Somit zeigt sich hier, dass verschiedene Faktoren die Entwicklung von Expertise beeinflussen.
Die Befunde zu Expertise haben enorme Bedeutung für die Personalpsychologie. Besonders in Berufen, welche viel Fachwissen erfordern, ist es sinnvoll, wenn die Mitarbeiter:innen Expertise in ihren Fachgebieten besitzen. Somit sollte zum einen bei der Personalauswahl darauf geachtet werden, Personen mit entsprechender Expertise einzustellen und die Arbeitsumgebung sollte so gestaltet werden, dass sich Expertise entwickeln kann. Im Rahmen dieses Blogbeitrages haben wir uns die Frage gestellt, wie Hochleistungssportler:innen selbst einschätzen, wie sie Expertise entwickeln konnten und wie dies eventuell auf die Gestaltung einer Expertise-fördernden Arbeitsumgebung übertragen werden kann.
Interview
Vielen, vielen Dank, dass du dir für dieses Interview zur Verfügung gestellt hast! Könntest du vielleicht zunächst kurz erklären wer du bist und was du machst?
Ich bin Philipp Herder, 29 Jahre alt aus Berlin und ich turne seit 22 Jahren. Seit 20 Jahren wirklich leistungsmäßig und seit neun Jahren professionell.
Was ist denn der Unterschied zwischen Leistungssport und professionellem Sport?
Professionell heißt, dass man damit Geld verdient. Leistungsmäßig, also wo es dann wirklich die Leistung im Vordergrund stand und weniger der Spaß, habe ich so ca. ab der dritten Klasse geturnt. Ich war dann auch auf einer Sportschule; da war alles durchgetaktet und auf’s Training ausgelegt. 07.30 Uhr bis 09.15 Uhr hatten wir immer Training, dann bis 16.00 Uhr Schule und dann ab 16:30 Uhr nochmal drei Stunden Training. Ich war immer der Erste, der morgens aus dem Haus gegangen und der Letzte, der abends zurückgekommen ist.
War die Schule dem Ganzen untergeordnet?
Na ja, … Eigentlich lief das parallel. Aber für mich persönlich hatte Schule da nicht den größten Stellenwert.
Wie standen deine Eltern zum Leistungssport?
Die haben mich zu nichts gezwungen, also ich hätte nicht turnen müssen, aber insgesamt waren sie schon sehr unterstützend. Gerade mein Vater war immer superstolz und hat sich gefreut, umso länger und mehr ich es gemacht habe. Die waren immer super dabei, auch bei jedem Wettkampf, zu dem sie kommen konnten und auch, wenn ich sonst etwas brauchte.
Du hast eben von deinem Schulalltag erzählt, wie da dein Tagesablauf war. Wie häufig und wie lange trainierst du aktuell?
Weniger, auf jeden Fall. Früher habe ich wirklich mehr gemacht. Das liegt aber auch daran, dass ich jetzt älter bin, also körperlich gar nicht so viel mehr machen kann und dass ich jetzt mein eigener Chef bin. Klar, ich habe einen Trainer, aber ich entscheide jetzt viel selber, was ich jeden Tag am Gerät mache und wenn ich sage ich bin fertig, bin ich fertig. Bin ja mittlerweile alt genug. Aktuell trainiere ich so 25 Stunden die Woche, früher waren es eher 30.
Und das alles neben einem Studium, mittlerweile, richtig?
Ja genau, Physik, aber nicht Vollzeit. Das geht gar nicht, neben dem Sport. Ich mache immer so ein, zwei Module pro Semester. Letztes Semester habe ich etwas mehr gemacht, jetzt ist es wieder weniger und davor war’s auch eher weniger.
Das lag ja aber auch an einem sehr großen sportlichen Event, das stattgefunden hat, oder?
Ja, die Olympischen Spiele in Tokyo.
War die Teilnahme dein bisher größter sportlicher Erfolg?
Ja, definitiv. 2016 hatte es für Rio nicht ganz gereicht; da bin ich als Ersatzmann mitgefahren, habe aber nicht geturnt. Das war damals sehr blöd. Die Olympischen Spiele sind eigentlich das größte für jeden Sportler. Das Hinkommen ist fast schwieriger als letztendlich das Turnen. Deswegen ist an diesem Spruch „Dabeisein ist alles“ schon was dran.
Und 2021 warst du dann ja dabei.
Ja. Und habe auch ganz gut geturnt, von daher bin ich super zufrieden, blicke auf eine schöne Karriere zurück… Die Europameisterschaften in München sind jetzt nochmal das nächste Ziel und dann, mal schauen, lasse ich das Ganze so ein bisschen ausklingen.
Wir führen dieses Interview im Rahmen eines Seminars in Personalpsychologie. Das Überthema lautet „Exzellenz/Expertise“. Daher jetzt erstmal an dich die Frage: Woran denkst du, wenn du den Begriff Experterte/Expertin hörst?
Hält sich nicht jeder für einen Experten? Ich würde sagen, das ist einfach jemand, der sich extrem gut auskennt in einem gewissen Gebiet. Was man wirklich darunter versteht ist natürlich Ansichtssache, deshalb hält sich vermutliche jeder irgendwie für einen Experten.
In der Psychologie definiert man Expert:innen als Individuen, die überragende Leistungen in einer bestimmten Domäne vollbringen. Diese Leistungen müssen stabil und auf Fähigkeiten und Fertigkeiten des Individuums zurückzuführen sein. Außerdem muss man in den meisten Fällen mindestens zehn Jahre darauf hinarbeiten, in einem bestimmten Bereich Experte/Expertin zu werden. Nun gibt es in der Psychologie die Deliberate-Practice-versus-Innate-Talent-Debatte. Innate Talent bezieht sich hier auf angeborene Fähigkeiten, die sich bereits im frühen Kindheitsalter zeigen, während Deliberate Practice das forcierte, intensive Üben von Dingen beschreibt, die man noch nicht kann. Wie würdest du auf diese Frage im Kontext Turnen eingehen? Ist dort Deliberate Practice oder Innate Talent wichtiger für die Expertisebildung?
Ich glaube, gerade im Junior:innenbereich geht es eher um Innate Talent. Je älter man aber wird, desto wichtiger werden Fleiß und Durchhaltevermögen. Ich kenne so viele, die im jüngeren Bereich, vielleicht bis sie 18 waren, so talentiert und erfolgreich waren und dann nach Verletzungen oder Motivationsproblemen aufgehört oder den Faden verloren haben. Und am Ende sind dann die oben angekommen, die egal was kam durchgezogen und weitergemacht und sich nicht aufgegeben haben. Im Olympiateam von Tokyo damals sind keine besonderen Bewegungstalente, bis vielleicht auf Lukas Dauser. Wir haben alles über viel Training erreicht.
Wie oft würdest du sagen, dass du in deinem Trainingsalltag wirklich Deliberate Practice und nicht „normales Üben“ anwendest?
Jaaa… Nicht so oft. (lacht) Man such sich schon oft „Alibi-Übungen“, wenn man mal nicht so viel Lust hat, um nicht nichts zu tun, aber sich jetzt auch nicht zu sehr anstrengen zu müssen. Aber natürlich muss man sich insgesamt immer auf die Sachen fokussieren, die man verbessern und sicher können will. In der Olympiavorbereitung und bei der Vorbereitung auf die WM 2019 hatte ich immer Angst vor einer bestimmten Kombination am Pauschenpferd, weil ich immer dachte: „Oje, der Bundestrainer guckt zu; der bringt bestimmt einen Spruch, wenn ich jetzt absteige, dann denkt der bestimmt, dass ich das nicht kann“ und habe mir dann irgendwann gesagt: „Okay, scheiß drauf! Dafür ist Training doch gerade da. Ist doch egal, was er denkt. Mach es einfach und dadurch wirst du besser, egal ob du fällst oder nicht.“ Und dann wurde die Übung wirklich total stabil, also als ich mich wirklich mal genau auf die Sachen fokussiert habe, die ich nicht konnte oder vor denen ich mich gescheut habe.
Du bist für uns ein Experte in deinem Gebiet. Du hast unseres Erachtens nach Exzellenz erreicht. Stell dir nun bitte vor, dass wir ein Unternehmen führen und als Chef:innen gerne ein Umfeld schaffen wollen, das es unseren Mitarbeiter:innen möglich macht, ebenfalls Expertinnen und Experten zu werden und Exzellenz zu erreichen. Was waren Dinge, die dir auf deinem Weg zur Expertise geholfen haben?
Was mich motiviert hat waren kleine Erfolge. Du kannst nicht aus jedem einen Weltmeister machen, aber du kannst aus jedem das Beste herausholen. Große Ziele wie eine Olympiateilnahme können die Richtung weisen, aber die kleinen Ziele, wie zum Beispiel ein besonders gutes Training oder ein neues Element, was zum ersten Mal klappt, eine Qualifikation für das WM-Team, sind die Dinge, auf die man sich so im Alltag fokussieren sollte, die mich die ganze Zeit über am Ball gehalten haben.
Was für eine Rolle hat Feedback für dich gespielt?
Das war auch sehr, sehr wichtig. Ich hatte verschiedene Trainer in meiner Zeit. Viele waren gut und ich hatte ein paar, die waren weniger gut. Das Feedback kann viele Dinge beeinflussen. Ich hatte einen Trainer, der hat ein wirklich gutes Training mit zwei drei Sätzen einfach umgekehrt, sodass du am Ende mit einem schlechten Gefühl aus der Halle gekommen bist und dir dachtest: „Okay, wofür mache ich den Scheiß überhaupt noch?“ Ich hatte aber auch einen Trainer, der hat es geschafft, wenn ich total demotiviert war und eigentlich nachhause gehen wollte, mich mit zehn Minuten Gespräch wieder so aufzubauen, dass ich wieder ans Gerät gegangen bin und weitergemacht habe. Feedback ist definitiv wichtig, gerade wie es gegeben wird.
Eine abschließende Frage noch: Wir haben gesagt, in der Berufswelt ist Exzellenz wichtig. Man will immer Expertinnen, Fachleute, exzellente Leute im eigenen Unternehmen haben. Auf was sollte man als Personaler*in noch achten, wenn man einen Menschen einstellt, außer auf das Ausmaß an Expertise, über das der Mensch schon verfügt?
Durchhaltevermögen und Hartnäckigkeit. Ich kenne viele, die waren so viel besser als ich, im Studium wie im Turnen, die sich von verhältnismäßig kleinen Rückschlägen haben entmutigen lassen. Das ist in Unternehmen auch nicht anders. Man wird nicht sofort ganz oben sein. Es braucht alles seine Zeit und man muss einfach zielstrebig den eigenen Weg gehen. Zum Erfolg gibt es keine Abkürzung.
Vielen, vielen Dank für das Interview und viel Erfolg für die kommenden Deutschen Meisterschaften! Wir gucken übrigens zu.
Danke! Ich hoffe, dass ich nicht verturne und ihr euch dann denkt „Oje, das war wohl doch kein Experte.“
Zusammenfassung
Nach der Definition von Ericsson & Simon (1991) sind Expert:innen Individuen, welche überragende Leistungen in einer bestimmten Domäne vollbringen. Dass Philipps Leistungen im Turnen die von Noviz:innen übersteigen ist offensichtlich. Die Teilnahme an Wettkämpfen und die gewonnenen Titel liefern einerseits Belege für konkrete Ergebnisse dieser Expertise und eignen sich andererseits hervorragend, um sie zu messen und zu replizieren. Damit erfüllt Philipp ganz klar die Kriterien eines Experten. Und das Interview mit ihm eignet sich für die Frage: Ist er einfach der geborene Turner oder hat er sich das alles hart erarbeitet? Die Antwort liegt auf der Hand: Es stimmt sicherlich beides zum Teil. Philipp selbst hat angemerkt, dass es besonders im Junior:innenbereich eher um Innate Talent gehe und mit steigendem Alter Fleiß und Durchhaltevermögen immer wichtiger werden. So können wir auch für ihn annehmen, dass einerseits körperliche Voraussetzungen wie zum Beispiel eine geringere Körpergröße, eine genetische Disposition für Schnellkraft sowie Dehn- und Gelenkfähigkeit das Potenzial hervorragender Turnleistungen begünstigt haben. Diese Voraussetzungen könnten dazu beigetragen haben, dass Philipp, als er mit diesem Sport angefangen hat, recht schnell Erfolge vorweisen konnte, die ihn wiederum motiviert haben, dabei zu bleiben.
Andererseits gibt Philipp an, viele zu kennen, die im jüngeren Bereich besonders talentiert und erfolgreich gewesen seien, sich im Gegensatz zu ihm aber durch Rückschläge davon abhalten lassen haben, es bis in den Profisport geschaftt zu haben. Er selbst sagt: „Wir haben alles über viel Training erreicht“. Damit befürwortet er die Annahme, dass es auch im sportlichen Bereich neben Innate Talent besonders die ausdauernde Übung ist, die Expertise begünstigt. Zwar gibt er an, dass er nicht so häufig „Deliberate Practice“ im engeren Sinne (das bewusste Üben von Aspekten, die ihm schwerfallen) umsetze. Jedoch berichtet er auch, dass er sich bemühe, sich immer auf die Aspekte zu fokussieren, die er verbessern und sicher können wolle, und dass er diesem Ansatz seine Fortschritte zu verdanken habe. Vor dem Hintergrund, dass außerhalb des sportlichen Kontextes körperliche Vorrausetzungen eine viel geringere Rolle spielen, leuchtet ein, dass dort der Einfluss von Deliberate Practice deutlich überwiegt. Diese wiederum lässt sich fördern. Passend zu unseren Annahmen bestätigt Philipp, dass dabei ermutigendes – vermutlich gleichzeitig realistisches – Feedback wichtig ist. Zudem bieten besonders „kleine“ Ziele einerseits die Möglichkeit für motivierende Erfolge, und andererseits eine Grundlage, um die eigenen Leistungen zu referenzieren und den Trainingsfokus auf ausbaufähige Aspekte zu legen. Überträgt man Exzellenz- und Expertisebildung im Leistungssport auf die Berufswelt, können wir als Personalpsycholog:innen mitnehmen, dass Dispositionen für bestimmtes Innate Talent bei der Personalauswahl selbstverständlich eine Rolle spielen, Deliberate Practice aber der ausschlaggebende Faktor dafür ist, ob sich letzten Endes wirklich Expertise entwickelt. Es gilt nun also einerseits, Individuen zu beschäftigen, die persönliche Fertigkeiten und Eigenschaften mit sich bringen, die sie zur Deliberate Practice befähigen (z.B. hohe Eigenmotivation, gut ausgeprägte Coping Strategien), andererseits aber auch die Gestaltung einer förderlichen Umgebung, damit jene positiven Eigenschaften der Angestellten gefördert werden. Besonders zu betonen ist nach dem Interview mit Philipp die Relevanz qualitativ hochwertigen Feedbacks, sowie das Setzen angemessener, taktisch kluger Ziele.
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