Diskriminierende Personalauswahlentscheidungen anhand von Lebensläufen – Wie lässt sich intervenieren?
Die Bedeutung von Diversität in der Personalauswahl hat in den letzten Jahren erheblich an Relevanz gewonnen. Diversität in der Personalauswahl bedeutet nicht nur, eine breite Palette von Fähigkeiten und Erfahrungen zu berücksichtigen, sondern auch verschiedene kulturelle Hintergründe, Geschlechter und Persönlichkeiten einzubeziehen. Welche Stelle im Personalauswahlprozess besonders anfällig für diskriminierende Einstellungsentscheidungen ist und was mögliche Mechanismen dahinter sind, wird in diesem Blogartikel beleuchtet. Zudem werden Empfehlungen gegeben, welche Maßnahmen die Förderung von Diversität in der Personalauswahl unterstützen können.
Die erste Hürde, der Bewerber:innen in der Personalauswahl begegnen, ist das Screening des Lebenslaufs, eine zusammengefasste, schriftliche Darstellung, der für die berufliche Laufbahn wichtigsten Erfahrungen und Qualifikationen. Der Lebenslauf ist das am häufigsten genutzte Instrument zur Personalauswahl in Organisationen (Piotrowski & Armstrong, 2006). Gerade hier besteht für Bewerber:innen, die Minoritäten angehören, die Gefahr von Diskriminierung. Diese entsteht, wenn Bewerber:innen ungleich behandelt werden, und zwar aufgrund von Charakteristika, die in Zusammenhang mit der Minorität stehen, der sie angehören, die aber irrelevant für ihre Jobeignung sind (Derous & Ryan, 2017). Ein Beispiel hierfür ist das Aussortieren des Lebenslaufs einer Kandidatin mit einem Namen, der auf eine bestimme, ethnische Zugehörigkeit schließen lässt. Es ist offensichtlich, dass der Name dieser Bewerberin nicht mit ihrer Jobeignung in Zusammenhang stehen kann. Das klingt so logisch, dass man sich fragt, wie es im Personalauswahlprozess beim Screenen des Lebenslaufs zu solchen Entscheidungen kommen kann. Die Beantwortung dieser Frage gliedert sich in drei Schritte der Informationsverarbeitung: Informationsinput, Informationsverarbeitung und Informationsoutput. Dabei spielen Bewerber:innen, Entscheidende und der Kontext eine Rolle (Derous & Ryan, 2017). Wie die einzelnen Akteur:innen mit den Schritten der Informationsverarbeitung zusammenhängen und wie dieses Zusammenspiel zu diskriminierenden Personalauswahlentscheidungen führen kann, wird in diesem Blogartikel beleuchtet. Zudem wird die Frage nach Interventionen, die diskriminierende Entscheidungen abmildern und verhindern können, beantwortet. Es werden praktische Tipps gegeben und mögliche Grenzen aufgezeigt.
Informationsverarbeitung während des Screenings von Lebensläufen
Das Model of Biased Resume Screening von Derous und Ryan (2017) beschreibt den Screeningprozess von Lebensläufen in drei Schritten der Informationsverarbeitung. Der erste Schritt ist der Informationsinput. Hier nehmen Entscheidende (beispielsweise HR-Manager und einstellende Führungskräfte) die Informationen aus dem Lebenslauf auf. Diese Informationen, die sich in jobbezogen und nicht-jobbezogen unterteilen lassen, werden von HR-Manager:innen für Ihre Entscheidungen genutzt. Jobbezogene Informationen (beispielsweise relevante Fähigkeiten) und nicht-jobbezogene Informationen (beispielsweise ethnische Zugehörigkeit) werden explizit und implizit dargeboten. Der Name einer Person kann explizit auf die ethnische Zugehörigkeit hinweisen, das Engagement in bestimmten ehrenamtlichen Gruppen wäre ein impliziter Hinweis.
Der zweite Schritt ist die Informationsverarbeitung. Hier integrieren HR-Manager:innen die dargebotenen Informationen. Es lässt sich zwischen automatischer, oberflächlicher Verarbeitung und bewusster, überlegter Verarbeitung unterscheiden (Kahnemann, 2003). Automatische und oberflächliche Verarbeitung kann Stereotype aktivieren und zu diskriminierenden Auswahlentscheidungen führen. Aufgrund der geringen Anzahl an verfügbaren Informationen ist diese Art der Verarbeitung in der Regel vorherrschend. Das ist problematisch, da HR-Manager:innen sich so nicht auf die spezifischen Charakteristika von Bewerbender:innen und deren Passung zur Stelle beziehungsweise zur Organisation fokussieren, sondern dazu tendieren, Bewerber:innen zu kategorisieren und dabei von Stereotypen beeinflusst werden (Derous & Ryan, 2017).
Der dritte Schritt ist der Informationsoutput. Hier nutzen HR-Manager:innen die integrierten Informationen, um eine Auswahlentscheidung zu treffen. Neben der Art der Informationsverarbeitung beeinflusst die wahrgenommene Ähnlichkeit zwischen Bewerber:innen und dem/der aktuellen Stelleninhaber:in sowie die Ähnlichkeit zwischen Bewerber;innen und dem/der HR-Manager:in die Auswahlentscheidung (Schneider, 1987). Stärkere Ähnlichkeit erhöht die Chance ausgewählt zu werden. Da Minoritäten in Organisationen eher unterrepräsentiert sind, ist die Chance für Ähnlichkeit bei Bewerber:innen aus Minoritäten geringer, sodass sie seltener ausgewählt werden, was diskriminierend ist.
Die einzelnen Schritte der Informationsverarbeitung werden von verschiedenen Akteur:innen beeinflusst. Zum einen wirken sich Charakteristika der Bewerber:innen auf die Informationsverarbeitung von HR-Manager:innen aus. So zeigen Daten eine Präferenz für Bewerber:innen mit weiß-klingenden Namen gegenüber afroamerikanisch-klingenden Namen (Bertrand & Mullainathan, 2004) und eine Präferenz für Bewerber:innen mit heller Haut verglichen mit Schwarzen Bewerber:innen (Harrison & Thomas, 2009). Relevante Qualifikationen der Bewerber:innen können Diskriminierung abmildern, und zwar dann, wenn Bewerber:innen relevante Qualifikationen eindeutig besitzen. Diskriminierende Auswahlentscheidungen lassen sich dann nämlich nicht über die Qualifikationen rechtfertigen, sondern müssen anders begründet werden, was Diskriminierung reduziert. In Situationen, in denen relevante Qualifikationen nur teilweise vorhanden sind, sind Auswahlentscheidungen folglich stärker diskriminierend, weil die Diskriminierung so über die Qualifikationen gerechtfertigt werden kann (Dovidio & Gaertner, 2000). Eine weitere Einflussgröße auf die Informationsverarbeitung von HR-Manager:innen sind die Eigenschaften der HR-Manager:in selbst. Negative Einstellungen und Stereotype gegenüber anderen führen zu stärkerer Diskriminierung (Derous & Ryan, 2018). Wenn die Möglichkeit der Rückverfolgung der Diskriminierung zu HR-Manager:innen besteht oder organisationale Richtlinien Diskriminierung verbieten, kann der Effekt abgemildert werden (Brief et al., 2000). Über den Einfluss von Erfahrung lassen sich keine eindeutigen Aussagen treffen. Einerseits kann Erfahrung dazu führen, weniger diskriminierende Auswahlentscheidungen zu treffen. Andererseits fühlen sich erfahrenere HR-Manager:innen sehr sicher in ihrem Vorgehen und neigen stärker zu automatischer, oberflächlicher Verarbeitung als weniger erfahrene HR-Manager:innen (De Meijer et al., 2007).
Auch kontextuelle Faktoren beeinflussen die Informationsverarbeitung. Beispielsweise Stereotype bezüglich des zu besetzenden Jobs. Für Jobs mit hohem Kundenkontakt wurden Bewerber:innen ethnischer Minoritäten nach Einreichung ihrer Bewerbung seltener zurückgerufen (Carlsson & Roth, 2008). Weitere kontextuelle Faktoren, die die Informationsverarbeitung beeinflussen sind organisationale Merkmale wie finanzieller Druck sowie Zeitdruck beim Screening von Bewerbungen. In der Regel screenen HR-Manager:innen eine große Anzahl an Lebensläufen. Dabei stehen sie unter Zeitdruck, weil der Einstellungsprozess im Idealfall so schnell wie möglich abgeschlossen sein sollte. Dies begünstigt eine automatische und oberflächliche Verarbeitung. Einstellende Führungskräfte stehen bei Personalauswahlentscheidungen sogar unter noch größerem Zeitdruck. Sie priorisieren operationale Aufgaben und verwenden wenig Zeit für das Screening von Lebensläufen (Woodrow & Guest, 2014). Das begünstigt eine automatische und oberflächliche Verarbeitung noch weiter und erhöht die Chance für diskriminierende Auswahlentscheidungen.
Praktische Implikationen
Das in diesem Blogartikel vorgestellte Modell hilft, diskriminierende Auswahlentscheidungen beim Screening von Lebensläufen besser zu verstehen und sich möglichen Einflussfaktoren bewusst zu werden. Doch wie können diskriminierende Personalauswahlentscheidungen abgemildert und im besten Fall ganz verhindert werden? Interventionen auf Ebene des Bewerbungsprozesses, der HR-Manager:innen und einstellenden Führungskräfte sowie auf organisationaler Ebene, können mögliche Lösungen aufzeigen. Anstelle des klassischen Lebenslaufs könnten Video-Lebensläufe verwendet werden, bei denen Bewerber:innen sich dem Unternehmen innerhalb von ein bis zwei Minuten in einer Videobotschaft vorstellen. Dies ermöglicht den Bewerber:innen, mehr persönliche Informationen einzubringen, wodurch sich eine automatische, oberflächliche Verarbeitung der HR-Manager:innen reduziert und weniger stereotypisiert wird (Derous & Ryan, 2017). Bei der Anonymisierung von klassischen Lebensläufen hingehen ist Vorsicht geboten: fehlende kontextuelle und persönliche Informationen können zu automatischer, oberflächlicher Verarbeitung führen, Stereotypisierung begünstigen und so diskriminierende Auswahlentscheidungen verstärken (Behagel et al., 2015). Der Bewerbungsprozess selbst sollte so standardisiert wie möglich ablaufen. Strukturierte Bewerbungsformulare, die also für alle Bewerber:innen gleich sind und von ihnen mit ihren jeweils individuellen Informationen befüllt werden, erhöhen die Vergleichbarkeit. Die Möglichkeit, dass optisch unterschiedlich designte Lebensläufe mit unterschiedlich strukturierten Informationen Auswahlentscheidungen verzerren, wird so eliminiert.
Auf Ebene der Entscheidenden ist die Auswahl geeigneter HR-Manager:innen und einstellender Führungskräfte wichtig. Offensichtlich sollten Entscheidende keine negativen Einstellungen und Stereotype gegenüber anderen haben. Um diese zu reduzieren, eignet sich ein Training im Vorfeld von Personalauswahlprozessen. Hier sollte über diskriminierende Auswahlentscheidungen aufgeklärt werden sowie Urteilsverzerrungen und mögliche Gegenmaßnahmen diskutiert werden. Ein Training mit Kontakt zu Minoritäten, Perspektivübernahme, Überprüfung von Stereotypen auf deren Richtigkeit und Ersetzung dieser, das Beschäftigen mit Minoritätsmitgliedern die Stereotypen widersprechen und die Individualisierung von Minoritätsmitgliedern allgemein, zeigte einen positiven Effekt auf Diskriminierung (Devine et al., 2012). Außerdem ist wichtig, dass HR-Manager:innen und einstellende Führungskräfte Verantwortung für ihre Auswahlentscheidungen übernehmen und verpflichtet sind, faire Entscheidungen anhand jobrelevanter Charakteristika zu treffen. Das kann diskriminierende Auswahlentscheidungen ebenfalls reduzieren (Self et al., 2015). Zudem kann es helfen einstellende Führungskräfte stärker in den Screening Prozess einzubeziehen. In der Regel sind diese vertrauter mit der Tätigkeit und haben geringere Stereotype gegenüber dem Job. Möglicherweise können sie jobrelevante Qualifikationen besser einschätzen als HR-Manager:innen und ihre Entscheidungen so stärker auf Fähigkeiten und weniger auf Stereotypen basierend treffen. Auf organisationaler Ebene sind Richtlinien für faire Auswahlprozesse notwendig, zu deren Einhaltung sich Entscheidende verpflichten. Zudem sollten genug finanzielle und zeitliche Ressourcen zur Verfügung stehen, sodass ein bewusstes und überlegtes Screening von Bewerbungsunterlagen möglich ist, Trainings absolviert werden und einstellende Führungskräfte mit ihrem fachlichen Wissen stärker in den Personalauswahlprozess
eingebunden werden können.
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