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Psychologie im Arbeitsleben

Entrepreneurship: Leidenschaft ist (nicht) genug

von Phillip Graffe (1. Semester Master Psychologie – Human Performance in Sociotechnical Systems, Technische Universität Dresden)

Zu dem Begriff „Enterpreneur“ gehört ein großes Feld an Anforderungen.

„If you are passionate about something and you work hard, then I think you will be successful”, sagte schon der eBay Gründer Pierre Omidyar. Der gleichen Meinung ist auch LinkedIn Gründer Reid Hoffmann, der Junggründer mit dem Satz inspiriert: „Passion motivates over money”. Hört man diese Sätze, klingt es, als müsste man nur fest genug an eine Idee glauben, damit sie irgendwann wahr wird. Aber spielt die Leidenschaft der Unternehmensgründenden Person wirklich eine entscheidende Rolle für den erfolgreichen Aufbau eines Startups?
Dieser Frage wird im folgenden Artikel auf der Grundlage wissenschaftlicher Erkenntnisse nachgegangen. Neben vielen externen Faktoren, wie z. B. dem Marktpotential der Gründungsidee und der aktuellen wirtschaftlichen Situation des Landes, spielen die individuellen Faktoren des Gründers, wie z. B. Motivation, Proaktivität und Stresstoleranz (Rauch & Frese, 2007), eine wichtige Rolle und stehen daher im Mittelpunkt des Artikels.

Von Food-Truck bis zu Tech-Startup: Insbesondere in deutschen Metropolen wie Berlin, München, Hamburg und Köln ist die Gründerszene im vergangenen Jahrzehnt aufgeblüht (Heyder, 2020). Die Gründe dafür sind vielseitig. Einerseits wird der anhaltende Wirtschaftsboom als ein möglicher Grund dafür gesehen, dass sich die tendenziell risikoscheuen Deutschen dem Unternehmertum (Entrepreneurship) zuwenden (Kastenholz, 2015). Andererseits könnte die große mediale Aufmerksamkeit, welche der Gründerszene durch Fernsehsendungen wie „Die Höhle der Löwen“ zugekommen ist, eine weitere Erklärung für den Boom an jungen Startups liefern.

Die Fernsehshow „Höhle des Löwen“ erregte deutschlandweit Aufmerksamkeit und begeisterte Massen.

Andere dabei zu beobachten wie sie ihre Leidenschaft in ein Unternehmen umsetzen, mag einige Deutsche ermutigt haben, die Idee, an der sie seit Jahren leidenschaftlich tüfteln, in eine Geschäftsidee zu verwandeln. Ziel ist es den Traum vom eigenen Unternehmen zu verwirklichen und erfolgreich zu werden, so wie es bspw. die Gründer von Flixbus und Zalando geschafft haben. Natürlich darf auch die Inspiration durch erfolgreiche Gründer, wie einleitend erwähnt, als Grund für die Zuwendung zum Dasein als eigener Chef nicht vernachlässigt werden (Breugst & Patzelt, 2020).

Inrpiration scheint für viele Enterpreneure*innen ein tief verinnerlichtes Thema zu sein.

Allerdings entsteht dadurch bei vielen Gründern*innen und auch Investoren*innen die Illusion, dass Leidenschaft bei der Gründung von Startups eine hochrelevante Rolle spielen muss, um erfolgreich zu werden. Schaut man sich aber die Zahl der gescheiterten Gründungen an, die zwischen 80 und 90 Prozent der Jungunternehmen umfasst, kommen erste Zweifel, inwieweit Leidenschaft das Überleben im Haifischbecken der Startup-Szene sichern kann (Disselkamp, 2020). Um also aufzuzeigen, inwieweit die Wirksamkeit von Leidenschaft auf den Unternehmenserfolg empirisch untersucht wurde, beschäftigen wir uns mit dem aktuellen Stand der Forschung und stellen dar, welche wissenschaftlichen Erkenntnisse über erfolgreiche Gründer vorliegen.

Innovative Ideen zu verwirklichen kann auch dazu führen, dass man nicht mehr im schützenden Schwarm schwimmt.

Die psychologische Forschung zum Unternehmertum ist vergleichsweise noch sehr jung, und so auch das Konstrukt der unternehmerischen Leidenschaft (entrepreneurial passion). Cardon und Kollegen (2009, S. 517) definieren die unternehmerische Leidenschaft als „eine stark positive Emotion gegenüber unternehmerischen Aufgaben und Aktivitäten“. Diese wird in den meisten Forschungsarbeiten zum Unternehmertum als der Treibstoff angesehen, der die Gründer*innen dazu anspornt, ihre unternehmerischen Anstrengungen (entrepreneurial effort) zu verstärken, um Fortschritte bei der Gründung (new venture progress) zu erzielen (Baum & Locke, 2004; Cardon et al., 2009). Das heißt, je leidenschaftlicher der/die Gründer*in ist, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass er/sie Erfolge erzielt. Obwohl die Forschung zu unternehmerischer Leidenschaft und Unternehmenserfolg noch
in den Kinderschuhen steckt, gibt es bereits erste systematische Literaturübersichten, die zeigen, inwieweit die theoretisch begründete Kausalbeziehung empirisch haltbar ist. Lyortsuun und Kollegen (2019) haben in ihrem systematischen Review 64 Artikel einbezogen und ziehen ein eher ernüchterndes Fazit. Die einbezogenen Studien zur Wirksamkeit von unternehmerischer Leidenschaft auf den Unternehmenserfolg bzw. -fortschritt sind widersprüchlich. Während einige Studien einen signifikanten Effekt von unternehmerischer Leidenschaft auf den Unternehmenserfolg berichten konnten, war in anderen Studien nichts dergleichen festzustellen (Iyortsuun et al., 2019). Die Autoren*innen führen dies darauf zurück, dass in einigen Studien wahrscheinlich Mediator- oder Kontrollvariablen vernachlässigt wurden, halten jedoch an dem theoretischen Ansatz fest.

Zu dem Enterpreneur-Erfolg gehört eine ganze Menge.

Hierbei ist jedoch kritisch anzumerken, dass weitere Alternativerklärungen von den Autoren*innen außer Acht gelassen wurden. Die angenommene Kausalität von unternehmerischer Leidenschaft auf unternehmerische Anstrengung hätte beispielsweise grundsätzlich in Frage gestellt werden können. Grund dafür bieten die Ergebnisse der Studie von Gielnik und Kollegen (2015), die von Iyortsuun und Kollegen (2019) in ihrem Review nicht diskutiert wurden. In zwei Studien entkräften Gielnik und Kollegen (2015), die weit verbreitete Annahme, dass erfolgreiches Unternehmertum nur aus einer vorhandenen unternehmerischen Leidenschaft entstehen kann.

Basierend auf der Emotionstheorie von Baumeister und Kollegen (2007), die besagt, dass nicht nur Emotionen (z. B. unternehmerische Leidenschaft) zu Verhaltensweisen (z. B. unternehmerische Anstrengung) führen können, sondern dass Emotionen auch die Folge von Verhaltensweisen sein können, untersuchten Gielnik und Kollegen den Umkehreffekt. Im Gegensatz zu früheren Forschungsergebnissen zeigen die Studien, welche im Längsschnitt- und Experimentaldesign durchgeführt wurden, dass unternehmerische Anstrengung unternehmerische Leidenschaft voraussagt. Dieser Effekt wurde durch den Gründungsfortschritt vermittelt. Das heißt, je mehr Anstrengung ein Gründer aufbringt, desto höher ist der Gründungsfortschritt und somit auch die erlebte Leidenschaft. Zusammenfassend stellt sich nun die Frage, ob unternehmerische Leidenschaft als Treibstoff oder als Folgeeffekt in Bezug auf den Unternehmenserfolg angesehen werden sollte. Um diesen Widerspruch in Bezug auf die Wirkrichtung der unternehmerischen Leidenschaft zu klären, bedarf es weiterführende Studien und Forschungsarbeiten.

Was war zuerst da – die Henne oder das Ei? Der Erfolg oder die Leidenschaft?

Auf die Frage, inwiefern Leidenschaft essentiell für den Unternehmenserfolg ist, kann keine eindeutige Antwort gegeben werden. Aufgrund der widersprüchlichen Ergebnisse kann jedoch vorsichtig gemutmaßt werden, dass der Leidenschaft von Gründern eine zu große Bedeutung beizumessen ist. In den aufgeführten Studien erwies sich die unternehmerische Anstrengung im Vergleich zur Leidenschaft als der klarere Indikator für unternehmerischen Erfolg. Diese Erkenntnis
lässt sich auch durch die Ergebnisse der Meta-Analyse von Rauch und Frese (2007) verifizieren. Sie untersuchten Persönlichkeitsmerkmale von Gründern, die mit dem Unternehmenserfolg, in Zusammenhang stehen. Es zeigten sich hohe Korrelationen zwischen Unternehmenserfolg und Leistungsmotivation bzw. proaktiver Persönlichkeit, die wiederum Indikatoren für die unternehmerische Anstrengungen sein können (Jain, 2011).
Darüber hinaus zeigte sich, dass Selbstwirksamkeit, Innovationsfreude, Stresstoleranz und Autonomiestreben weitere individuelle Faktoren erfolgreicher Unternehmensgründer*innen
sind (Rauch & Frese, 2007).

Was genau macht erfolgreiche Unternehmensführer*innen aus?

Was heißt das abschließend für Gründer*innen und investierende Personen? Nun ja, Enttäuschung stellt sich bei denen ein, die glaubten, dass Leidenschaft der Schlüssel zum Erfolg bei der Gründung eines Startups sei. Vor allem investierende Personen sollten sich nicht vom Enthusiasmus und der Leidenschaft potenzieller Gründer*innen blenden lassen, wenn sie ihre Produktideen vorstellen. Ansonsten versenken sie ihr Geld möglicherweise im stark umkämpften Haifischbecken der Gründerszene.

Leidenschaft schützt nicht vor Leid.

Vielmehr sollten investierende Personen darauf achten, inwieweit der/die potenzielle Gründer*in, neben einer guten Idee mit Marktchancen, die geeignete Persönlichkeitsstruktur mitbringt. Denn egal wie gut die Idee und wie hoch das Marktpotenzial oder die Leidenschaft, all dies hilft nicht, wenn beispielsweise der/die Gründer*in dem Druck der Startup-Szene oder dem Anspruch seiner/ihrer investierenden Personen nicht standhalten kann. Können potenzielle Gründer*innen dies nicht selbst kritisch reflektieren, sollten investierende Personen diese Aspekte ansprechen und prüfen. Ansonsten kann es passieren, dass die Leidenschaft der Gründer*innen zu mehr Leid als Erfolg
führt…

Literaturverzeichnis
Baum, J. R. & Locke, E. A. (2004). The relationship of entrepreneurial traits, skill, and
motivation to subsequent venture growth. Journal of Applied Psychology, 89(5), 587-
Baumeister, R. F., Vohs, K. D., DeWall, C. N., & Zhang, L. (2007). How emotion shapes
behavior: Feedback, anticipation, and reflection, rather than direct causation. Personality and Social Psychology Review, 11(2), 167-203.
Breugst, N. & Patzelt, H. (2020, 20. Juli). Forschungsfragen: Vorsicht mit der Leidenschaft. https://gruender.wiwo.de/forschungsfragen-vorsicht-mit-der-leidenschaft.
Cardon, M. S., Wincent, J., Singh, J., & Drnovsek, M. (2009). The nature and experience
of entrepreneurial passion. Academy of Management Review, 34(3), 511-532.
Disselkamp, M. (2020, 08. September). Warum so viele Startups scheitern!
https://www.4investors.de/nachrichten/boerse.php?sektion=stock&ID=145726.

Gielnik, M. M., Spitzmuller, M., Schmitt, A., Klemann, D. K., & Frese, M. (2015). “I Put
in Effort, Therefore I Am Passionate”: Investigating the Path from Effort to Passion
in Entrepreneurship. Academy of Management Journal, 58(4), 1012–1031.
Heyder, C. (2020, 27. Oktober). Deutsche Gründer- und Start-up-Szene auf einem guten
Weg. https://www.vc-magazin.de/blog/2020/10/27/deutsche-gruender-und-start-upszene/.
Iyortsuun, A. S., Nmadu, M. T., Dakung, R., & Gajere, M. C. (2019). Entrepreneurial
passion and venture performance: A proposed framework. Management Research
Review, 42(10), 1133–1147.
Jain, R. K. (2011). Entrepreneurial Competencies: A Meta-analysis and Comprehensive
Conceptualization for Future Research. Vision, 15(2), 127–152.
Kastenholz, L. (2015, 26. Januar). Gründer in Deutschland höher angesehen als in den
USA. https://entwickler.de/online/startups/gruender-deutschland-hoeher-angesehenals-den-usa-38953.html.
Rauch, A., & Frese, M. (2007). Let’s put the person back into entrepreneurship research:
A meta-analysis on the relationship between business owners‘ personality traits, business creation, and success. European Journal of Work and Organizational Psychology, 16(4), 353–385.

Autor: s7228601 | 27. März 2021 | 17:40 Uhr

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