Social-Media-Recruiting im Check: Chance oder Risiko?
von Anne Bergner (HPSTS – TU Dresden), Miriam Gelhaus (HPSTS – TU Dresden), Wiebke Ritz (HPSTS – TU Dresden)
Einleitung
Willkommen in der Welt des Recruiting 3.0, wo Social Media nicht nur das Leben, sondern auch die Art und Weise, wie wir Talente gewinnen, revolutioniert hat. Im Vergleich zu traditionellen Rekrutierungsmethoden, wie das Ausschreiben einer vakanten Stelle in einem Jobportal oder das Sichten einer Bewerbungsmappe, bietet der Einsatz sozialer Netzwerke wie Facebook, LinkedIn und Twitter Unternehmen die Möglichkeit, sich selbst als attraktive Arbeitgebermarke zu präsentieren, gezielt potenzielle Kandidat:innen anzusprechen und den gesamten Rekrutierungsprozess effizienter zu gestalten. Ebenso bietet Social Media eine Bühne für Bewerber:innen, die hier ihre beste Seite mittels auserwählter Informationen darbieten können. Wir wollen mit Ihnen durch aktuelle Literaturerkenntnisse zu Recruiting mittels Social Media streifen sowie einen langjährigen Recruiter zu Wort kommen lassen, um die Frage zu klären, ob Informationen von Social-Media-Plattformen einen Mehrwert bei der Passungsbeurteilung von Bewerber:innen im Rahmen der Recruitings bieten. Schieben Sie die traditionellen Stellenanzeigen also erst einmal vom Tisch und lassen Sie uns herausfinden, ob Facebook, LinkedIn oder Twitter bereits die neuen Schauplätze der Personalbeschaffung darstellen und ob sie auch wirklich das Potenzial dazu haben.
1. Theoretische und empirische Betrachtung des Nutzens, sowie Vor- und Nachteile der Verwendung von Social Media basierten Informationen für die Personalauswahl
Social Media ist ein umfassender Begriff. Daher unterscheiden wir in unserer Betrachtung zwischen freizeitbezogenen (bspw. Facebook, Instagram, TikTok, Twitter) und berufsbezogenen (bspw. Xing, LinkedIn) Social-Media-Plattformen. In der Regel können Nutzer:innen selbst entscheiden, welche Informationen sie auf welchen Plattformen mit wem teilen und mittels der persönlichen Einstellung auf diesen Plattformen sichtbar bzw. nicht sichtbar machen. Gleichzeitig können diese Grenzen zwischen persönlichen und beruflichen Informationen auch verschwimmen. Denn persönliche Daten sind für Außenstehende hier nicht unbedingt von persönlichen Daten anderer Personen zu unterscheiden, so denn Inhalte geteilt und Personen verlinkt werden. Weil die Nutzung von auf sozialen Plattformen geteilten Informationen generell nicht rechtswidrig ist (Jeske & Shultz, 2016), könnten Vorgesetzte Bewerber:innen potentiell dazu aufzufordern, freizeitbezogene Social-Media-Profile zu teilen, um daraus weitere Informationen zu generieren. So könnte bspw. von einer sich für die Öffentlichkeitsarbeit oder das Marketing bewerbende Person verlangt werden, freizeitbezogene Social-Media-Inhalte zugänglich zu machen, um die Expertise im Marketing zu verifizieren oder durch die öffentliche Präsentation der eigenen Person Aufschluss über die Fähigkeit desjenigen in eben diesem Bereich zu erlangen. In einem solchen Fall unterscheiden sich die Interessen der Bewerber:innen möglicherweise von denen der zukünftigen Arbeitgebenden und es lässt nicht mehr klar bestimmen, wo die Privatsphäre bzw. der Arbeitsbereich anfangen und enden (Jeske & Shultz, 2016). Gleichzeitig gibt es zahlreiche klar berufsbezogene Social-Media- Plattformen, die es ermöglichen, gezielt berufsspezifische Informationen zu teilen, die für das Recruiting aufschlussreich sein können. Daher stellt sich grundlegend die Frage, ob freizeitbezogene Social-Media-Plattformen ebenso relevant für den Recruiting-Prozess sein könnten, wie berufsbezogene und welcher Mehrwert sich aus letzteren gegenüber den herkömmlichen Informationsquellen wie bspw. dem Lebenslauf ergibt?
1.1. Nutzen verschiedener Social-Media-Plattformen zur Bewertung der Passung zwischen Kompetenz und Jobanforderung
In welchem Ausmaß Informationen aus Social-Media-Profilen bereits zum Einsatz kommen zeigt eine Untersuchung von Hoek et al. (2016): 60% der Studienteilnehmer:innen aus dem Bereich des Personalmanagements gaben an, Informationen aus Social-Media-Profilen inoffiziell für die Personalauswahl zu nutzen und diese in verschiedene Phasen des Auswahlverfahrens einzubeziehen: (1) vor dem Vorstellungsgespräch, um Fragen stellen und (2) nach dem Vorstellungsgespräch, um gewonnene Informationen zu überprüfen.
Ziel der Rekrutierung ist es, eine bestmögliche Kongruenz zwischen den Eigenschaften einer Person und den Anforderungen eines Arbeitsplatzes herzustellen (Warr & Inceoglu, 2012). Dies ist relevant, da eine gute Person-Job-Passung (Person-Job Fit) einerseits für die Arbeitsleistung und andererseits für die Mitarbeiterbindung bedeutsam ist. Denn eine gute Passung geht mit einem erhöhten Commitment einher, was wiederum positive Auswirkungen auf die Arbeitssituation und die Fluktuationsabsicht hat (Kristof-Brown, Zimmermann & Johnson, 2005, zitiert nach Schuler & Kanning, 2014). Hingegen nehmen Warr und Inceoglu (2012) an, dass eine schlechtere Person-Job-Passung mit einem geringeren Wohlbefinden verbunden ist, das sich in Unzufriedenheit, Langeweile, Angst, Depression, Irritation und somatischen Beschwerden äußern kann.
Ist die Verwendung von Social-Media-Inhalten also tatsächlich nützlich, um eine solche Passung zu prognostizieren? Und wenn ja, welche Herausforderungen und Risiken gehen damit einher?
1.2. Vorteile und Nachteile durch die Nutzung von Social-Media-Plattformen für die Personalauswahl
Zunächst beschreiben Kluemper und Rosen (2009), dass die Leistungsbewertungen derselben freizeitbezogenen Social-Media-Profile auf Facebook über verschiedene Beurteiler:innen hinweg konsistent waren. Dies spricht dafür, dass die Informationen auf solch einem Profil zu vergleichbaren Eindrücken bei den Beurteiler:innen führten. Van Iddekinge et al. (2013) entgegnen jedoch, dass Informationen aus Facebook Profilen innerhalb ihrer Untersuchungen weder mit der tatsächlichen Einschätzung der Leistung durch ein:e Supervisor:in, noch mit der Kündigungsabsicht oder einer tatsächlichen Kündigung verbunden waren. Des Weiteren bestätigten sie Hinweise auf diskriminierende Bewertungen durch die Beurteiler:innen. Diesem Risiko scheinen Bewerber:innen hier besonders, sei es bewusst oder unbewusst, ausgesetzt. Daher ist es fraglich, wie valide die von Kluemper und Rosen (2009) beschriebenen Urteile tatsächlich sind, da sie selbst ergänzen, dass die Beurteilungsqualität durch die Persönlichkeit der Beurteiler:innen beeinflusst werde. Weitere Probleme ergänzen Jeske und Shultz (2015): die Invasion der Privatsphäre und ethische Bedenken, welche Informationen für die berufliche Entscheidungen herangezogen und wie diese fair genutzt werden können; unklare rechtliche Rahmenbedingungen in vielen Ländern, was es erschwert, eine abgesicherte Praxis durchzusetzen; eine verzerrte oder unvollständige Darstellung der Person, insbesondere in Hinblick auf ihre Selbstdarstellung (Impression Management); einen erhöhten Zeitaufwand und Ressourcenverbrauch sowie das Verschmelzen der Grenzen zwischen Beruflichem und Privatem, was erschwert, zu entscheiden, welche Informationen für die Bewertung relevant sind. Nicht zuletzt führen Clark und Roberts (2010) das Argument an, dass Onlinekommunikation dauerhaft ist und dadurch Entscheidungen auch Jahre später noch schädlich sein können. Neben all den Problemfeldern schildern van de Ven et al. (2017) nützliche Erkenntnisse zur Persönlichkeit im Rahmen eines berufsbezogenen Portals und bezogen auf die Bewerber:innen. Sie zeigen in Untersuchungen, dass Informationen aus LinkedIn-Profilen von Bewerber:innen in einem mittleren bis hohen Ausmaß Rückschlüsse auf deren Extraversion bzw. Selbstdarstellung zulassen. Dies könnte für manch eine Branche ein relevanter Hinweis sein. Vor dem Hintergrund dieser theoretischen und empirischen Betrachtungen wollen wir nun unseren Interviewpartner vorstellen und seine Erfahrungen bezüglich der Nützlichkeit von Social-Media-Profilen, deren Risiken und Herausforderungen paraphrasieren. Anschließend ziehen wir Schlüsse aus der Gegenüberstellung der theoretisch/empirischen Betrachtung den Praxiserfahrungen des Interviewpartners, um einen Ausblick für die Verwendung solcher Profile bei der Rekrutierung von Mitarbeiter:innen zu geben.
2. Interview
Unser Interviewpartner studierte im Bachelor Psychologie und im Master Weiterbildung & Bildungstechnologie. Seit insgesamt 16 Jahres ist er als Personalleiter, zum jetzigen Zeitpunkt als Leiter von vier Mitarbeiter:innen in einer Kunststofffirma tätig. Neben der Rekrutierung ist er auch für Lohn, Gehalt, Gesundheitsmanagement, Personalmarketing, Messeauftritten, Abmahnung, Ermahnung, Verwaltung und Administration zuständig. Somit verantwortet er operative wie auch strategische Aufgaben. Insbesondere fokussiere er sich auf die Optimierung von Prozessen im Personalbereich. Das Interview wurde schriftlich durchgeführt und wird im Folgenden paraphrasiert wiedergegeben.
2.1. Wie hat sich der Einstellungsprozess in den letzten 10 Jahren durch Social Media verändert?
Es sind die üblichen Antworten, die ich hier geben kann. Der Arbeitgebermarkt hat sich zum Arbeitnehmermarkt hin entwickelt. Die Regierung hat zu dieser Entwicklung maßgeblich beigetragen. Bezüglich des Einstellungsprozesses haben sich die Firmen verschlankt, digitalisiert, besser aufgestellt. Es ist nicht so, dass ich weniger Bewerbungen bekomme – im Gegenteil. Viele sind jedoch ungeeignet. Zudem sind die Bewerbungen viel internationaler und kommen auch aus Marokko, Indien etc. Allerdings ist die Qualität der Bewerber:innen gegenüber der Anzahl an Bewerbungen deutlich gesunken.
Weiterhin kann ich sagen, dass es sehr viele verschiedene Job-Portale gibt. Früher war das deutlich einfacher. Da haben wir neue Mitarbeiter:innen über Messen oder Zeitungsanzeigen rekrutiert. Heute muss man sich dafür breit aufstellen, viel Geld investieren und Vorstellungsgespräche führen, die zeitintensiv sind. Insgesamt ist der Einstellungsprozess also komplizierter und teurer geworden. Auch kleine Unternehmen sind inzwischen auf Recruiter:innen angewiesen – ein hoher Kostenpunkt, der jedoch aufgrund des Personalmangels vonnöten ist.
Die hohe Bewerbungsanzahl hat es früher möglich gemacht, Bewerber:innen aufgrund von Schulnoten auszusieben, da manchmal 300 Bewerber:innen auf eine Ausbildungsstelle kamen. Heute muss man eigentlich mit jedem ins Gespräch gehen, weil nur ein sehr geringes Angebot an geeigneten Bewerber:innen vorhanden ist. Es gibt auch weitere Hürden, wie bspw. Zunehmende Sprachbarrieren oder die Bewerbung auf Stellen, für die keine Eignung vorhanden ist (bspw. werden 3 Jahre Berufserfahrung gefordert und Bewerber:innen ohne Erfahrung bewerben sich dennoch). Daher ist eine breite Aufstellung auf dem Anzeigenmarkt notwendig, was wiederum zeitaufwendig und kostenintensiv ist.
2.2. Welche Social-Media-Plattformen nutzt du am häufigsten im Rahmen des Recruitings und worüber geben die dort verfügbaren Informationen Aufschluss?
Eurer Definition von Social Media kann ich so nicht zustimmen (Definition der Autorinnen von Social Media siehe Kapitel 1). In meinem Verständnis sind Social-Media-Plattformen ausschließlich freizeitbezogen und dienen dazu, soziale Kontakte zu pflegen wie bspw. Facebook und Co. Xing und TikTok sind für mich beispielsweise keine Social-Media-Plattformen, weil sie nicht der Pflege sozialer Kontakte dienen. Gleiches gilt für Business Netzwerke, denn diese dienen der Verarbeitung von Informationen und Daten. Ich kann mich bei der Frage zum Nutzen von Social Media für den Recruitingprozess also nur auf Facebook beziehen. Ich habe viele Versuche gestartet durch Posts auf Social Media Bewerber:innen zu rekrutieren. Allerdings bewirbt sich darauf – trotz guter Posts – niemand passendes. Das kann natürlich auch abhängig vom Unternehmen, der Branche oder der Region unterschiedlich sein. Inzwischen nutzen wir Facebook daher nicht mehr zum Rekrutieren. Außerdem ist es meiner Meinung nach nicht die Frage, ob man durch Posts auf Facebook mehr Bewerbungen bekommt – denn die bekomme ich auch ohne Facebook, sondern ob es mehr Passung dadurch gibt. Doch die Bewerber:innen sind durch die Rekrutierung über Facebook oftmals genauso ungeeignet.
Wenn ich mir Social-Media-Profile wie Facebook und Xing anschaue, dann nur um Informationen zu ergänzen (an dieser Stelle ist anzumerken, dass sich unser Interviewpartner an dieser Stelle wie auch im weiteren Verlauf des Interviews bzgl. seines Social-Media-Verständnisses öfter widerspricht. Er bestätigt hier den Zugriff auf XING – eine berufsbezogene Plattform, wobei er diese aus seiner Auffassung zuvor ausgeklammert hat). Je nach Berufsgruppen sind Informationen dabei, die ich mir für ein kurzes Screening nochmal anschauen kann. Es hilft für eine konkretere Vorstellung des Profils der Bewerber:innen, wobei das nicht darüber entscheidet, ob ich eine bewerbende Person einlade oder nicht. Alles andere wäre auch unethisch und meinerseits unprofessionell. Das sind private Daten die nichts über die berufliche Eignung desjenigen aussagen. Ich habe auch noch nie den Eindruck gehabt, dass Leute über Social-Media-Profile auf Jobsuche gehen. Ich glaube daher nicht, dass jemand, der ein privates Profil hat, berufsbezogene Informationen teilt, um eingestellt zu werden.
Private Social-Media-Seiten sollten meiner Meinung nach generell nicht mit dem Bewerbungsprozess verknüpft werden. Daher würde ich Bewerber:innen darüber nur filtern, wenn bspw. jemand als rechtsextrem erkennbar oder in anderer Hinsicht extrem ist. Bei mir persönlich ist das aber noch nie vorgekommen.
2.3. Welche Vorteile, Herausforderungen und Risiken siehst du bei der Nutzung von Social- Media-Profilen im Recruiting?
Ich sehe wenig Vorteile. Höchstens, dass man eine Mailadresse oder Telefonnummer bekommt, um Bewerber:innen zu erreichen. Für mehr nutze ich so ein Profil nicht. Vielleicht noch zum Abgleich von Daten. Beispielsweise wenn jemand zwei Lebensstationen nicht angegeben hat. Aber nein. Ich mache nur Spaß. Rein rechtlich könnte ich alle Informationen nutzen.
Zu den Herausforderungen kann ich sagen, das die Nutzung von Social Media für Personalauswahlprozesse insgesamt immer unübersichtlicher wird. Hierfür muss man mehrere Zugänge haben, sich einloggen. Außerdem sehen die Bewerber:innen, dass man auf deren Profil war und das kann anstrengend sein, da sich diese dann nach dem Stand der Bewerbung erkundigen, wenn man als Recruiter:in eigentlich nur mal „schauen“ wollte – diese aber nicht in besonderem Maße in Erwägung zieht. Es gibt auch Fakeprofile. Ich glaube, dass sich die Nutzung von Social Media auch zurückentwickeln wird, weil immer mehr Leute wieder anonym bleiben wollen.
Auf die Objektivität kann sich die Nutzung von Social Media bei uns nicht auswirken, weil wir die Informationen nicht für die Eignungsbeurteilung nutzen. Das wäre wie gesagt unethisch und unprofessionell. Allerdings – wenn das Alter in der Bewerbung nicht angegeben wurde und im Social-Media-Profil steht, dass die Person 60 Jahre alt ist und wir jemand für ein junges dynamisches Team suchen – nehmen wir diesen Bewerber nicht. Da wären Probleme im Team vorprogrammiert. Das ist an dieser Stelle zwar diskriminierend und offiziell nicht erlaubt, doch tatsächlich ist das nicht nur bei uns, sondern auch in vielen anderen Unternehmen die Praxis.
3. Diskussion
Die zunehmende Bedeutung von Social Media hat die Rekrutierungsstrategien von Unternehmen weltweit revolutioniert. Berufs- und freizeitbezogene Plattformen bieten Unternehmen nicht nur Zugang zu einer breiten Palette potenzieller Bewerber:innen, sondern ermöglichen es auch, deren Persönlichkeit und berufliche Eignung auf eine Weise zu beurteilen, die traditionelle Methoden nicht leisten können. Dies bietet eine Vielzahl an Vor- und Nachteilen, die sowohl in der Literatur diskutiert werden, als auch durch die Erfahrungen unseres Interviewpartners widergespiegelt werden, der die Entwicklungen in der Rekrutierung durch Social Media unmittelbar miterlebt hat.
Van de Ven et al. (2017) betonen, dass berufsbezogene Plattformen wie LinkedIn es Personalverantwortlichen ermöglichen, ein breiteres Netzwerk an potenziellen Kandidat:innen zu erreichen, einschließlich solcher, die nicht aktiv auf Jobsuche sind. Dies unterstützt die Organisationen dabei, die Kosten durch weniger traditionelle Stellenanzeigen oder mittels Headhunter zu senken. Dies deckt sich insoweit mit den Aussagen unseres Interviewpartners, dass er berichtet, eine Vielzahl sowie insbesondere internationale Bewerbungen zu erhalten. Während die Quantität an Bewerbungen also durch berufs- und freizeitbezogene Plattformen gesteigert werden kann, ist dies nicht gleichbedeutend für einen Zuwachs an Qualität. Im Gegenteil: unser Interviewpartner berichtet qualitativ von eher mangelhaften Bewerbungen. Kluemper und Rosen (2009) argumentieren weiter, dass Social Media sinnvoll ist, um ein umfassenderes Bild der Bewerber:innen zu erhalten. Dies könnte potenziell zu besseren Entscheidungen in Bezug auf Persönlichkeit und Leistung führen. Unser Interviewpartner bestätigt, dass er Social-Media-Profile teilweise nutze, um ergänzende Informationen zu erhalten, die ihm ein klareres Bild von der bewerbenden Person geben können, auch wenn diese Informationen nicht entscheidend für die Einstellung seien.
Andererseits warnen van Iddekinge et al. (2013) davor, dass Bewertungen, die auf Facebook-Informationen basieren, nicht zuverlässig mit der späteren beruflichen Leistung der Bewerber:innen korrelieren. Sie betonen, dass die Verwendung solcher Informationen zu Vorurteilen und Diskriminierung führen kann, insbesondere aufgrund sichtbarer Merkmale wie Geschlecht und Hautfarbe. Diese Bedenken werden auch vom Interviewpartner geteilt, der erklärt, dass er private Social-Media-Profile nicht für berufliche Eignungsbeurteilungen nutze, da dies Ethik und Professionalität widersprechen. Dazu heben Clark und Roberts (2010) sowie Jeske und Shultz (2016) hervor, dass die Nutzung von Social Media zur Beurteilung von Bewerber:innen ethische Dilemmata und Datenschutzbedenken aufwirft. Sie argumentieren, dass bestimmte Bereiche der Privatsphäre geschützt werden sollten und dass die Nutzung dieser Informationen im Rekrutierungsprozess zu Vertrauensverlust und potenzieller Diskriminierung führen kann. Der Interviewpartner äußert ähnliche Bedenken und betont, dass er Social Media nur für ergänzende Informationen wie bspw. Kontaktdaten oder dem Abgleich von Lebenslaufdaten nutze und dass private Informationen, die auf entsprechenden Social-Media-Portalen einsehbar seien, nicht in den Bewerbungsprozess einfließen sollten. An dieser Stelle weist unser Interviewpartner gleichzeitig auf einen Widerspruch zwischen ethischer Theorie und unethischer Praxis hin. Seines Erachtens sei es gängig, aufgrund von Altersangaben auf Social Media auch Bewerber:innen aus der Auswahl auszuschließen, wenn die altersspezifische Passung mit Teammitgliedern (d.h. Altershomogenität) nicht gegeben sei, da eine große Altersdiversität wiederum zu Teamproblemen führen könnte. Insofern mag der Nutzen Social Media basierter Informationen rechtlich nicht bedenklich für eine Nutzung im Recruiting sein (siehe Kapitel 1). Doch sowohl in der empirischen Literatur als auch in der Praxis unseres Interviewpartners werden gravierende ethische Bedenken und Zweifel an der
Auf Grundlage der zu Beginn dargestellten Problematik des medizinischen Personals und des allgemeinen Wissens von Modellen zur Belastung und Stress kann das Job-Demand-Control-Support Modell (vgl. Johnson, Hall & Theroell, 19989) einen übergeordneten Lösungsansatz für direkte Intervention bieten. Dieses zeigt auf, dass eine soziale Unterstützung eine positive Wirkung auf hohe Arbeitsanforderungen hat und Stress und Belastung mildern kann. Deshalb bedarf es Strukturen der sozialen Unterstützung für das medizinische Personal, die im Fall von bedrohlichen, krisenhaften Situationen oder empfundener Überforderung helfen, diese zu bewältigen. Zweckmäßigkeit persönlicher Informationen für die Beurteilung der beruflichen Passung angebracht. Somit werden trotz dessen ethische Brüche und Diskriminierung durch die Verwendung persönlicher Informationen deutlich, wenn es der „Passungsbeurteilung“ der Bewerber:innen dient. Weiterhin beschreibt unser Interviewpartner, dass der Einstellungsprozess durch die Nutzung vieler verschiedener Job-Portale komplizierter und teurer geworden sei. Dies steht im Einklang mit den Ausführungen von Hoek O’Kane (2016), die auf die erhöhten Kosten und die Komplexität durch die Nutzung mehrerer Plattformen hinweisen. Auch unser Interviewpartner berichtet von steigendem zeitlichem Aufwand und dadurch bedingten erhöhten personellen Kosten, da die Vielzahl an Bewerbungen, die durch Social Media mehr generiert werden können, gesichtet werden müssen.
Insgesamt lässt sich feststellen, dass die Verwendung von Social-Media-Informationen keinen generellen Mehrwert für die Passungsbeurteilung der Bewerber:innen im Rekrutierungsprozess darstellt. Doch wenn Informationen aus Social-Media-Profilen ergänzend zu den bereits vorliegenden Informationen der Bewerber:innen hinzugezogen werden, können sie dann einen Beitrag zur Eignungsbeurteilung leisten, wenn sie aus berufsbezogenen und nicht aus freizeitbezogenen Plattformen stammen.
Fazit und Ausblick
Das Wichtigste in Kürze: nutzen Sie berufsbezogene Social-Media-Portale wie LinkedIn als ergänzendes Werkzeug, um Ihren Pool an Kandidat:innen zu erweitern und auch passive Talente zu erreichen. Doch Achtung: Bewerten Sie Bewerber:innen nicht primär anhand ihrer Social-Media-Profile und vermeiden Sie es, private Informationen in die Eignungsbeurteilung einfließen zu lassen, die die bewerbende Person nicht willentlich mit Ihnen geteilt hat, um Diskriminierung zu verhindern und Vertrauen zu bewahren. Setzen Sie hierzu auf bewährte Methoden, um Fairness und Objektivität im Rekrutierungsprozess zu gewährleisten und valide Informationen über Ihre zukünftigen Mitarbeiter:innen zu erhalten. Um die Potenziale des Social-Media-Einsatzes im Recruiting also optimal nutzen zu können, ist es unabdingbar, hierfür eine Strategie zu entwickeln, die ethische und rechtliche Rahmenbedingungen strikt einhält. Nur so hat die Integration von Social Media in den Rekrutierungsprozess die Chance, eine Win-Win- Situation für die bewerbenden als auch die arbeitgebenden Personen zu sein.
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