Startseite » TU Dresden Blogs » Psychologie im Arbeitsleben

Psychologie im Arbeitsleben

Sorgt die Corona-Krise für einen Boom an weiblichen Führungskräften?

Von Clarissa Arlinghaus (1. Semester Master Psychologie – Human Performance in Socio-Technical Systems, Technische Universität Dresden)

Die Corona-Pandemie stellt Politik, Wirtschaft und Privatleben vor enorme Herausforderungen und ist gleichzeitig der Anfang einer neuen Zeit. Entstehen hierdurch neue Chancen für Frauen in Führungspositionen? Wie wirkt sich Corona mit Blick auf die gläserne Klippe aus?

Forschungsergebnisse zeigen eine Bevorzugung von Frauen in unsicheren Zeiten, sodass ungünstige Umstände die Chance auf Führungspositionen für Frauen erhöhen (Sergent & Stajkovic, 2020; Kulich, Lorenzi-Cioldi, Iacoviello, Franilko & Ryan, 2015). Frauen, die die gläserne Decke (engl. glass ceiling) durchbrechen, finden sich oft in prekären Führungspositionen wieder, die mit begrenzten Möglichkeiten und einem erhöhten Risiko des Scheiterns einhergehen. Dieses Phänomen wird als gläserne Klippe (engl. glass cliff) bezeichnet und konnte in Meta-Analysen nachgewiesen werden (Morgenroth, Kirby, Ryan & Sudkämper, 2020). Es stellt sich die Frage, ob aufgrund der Corona-Krise mit einem erheblichen Anstieg an Frauen in problematischen Führungsverhältnissen zu rechnen ist.

Die Ergebnisse aus Meta-Analysen sprechen dafür. In Krisen werden Frauen aufgrund von Geschlechterstereotypen eher für Führungspositionen ausgewählt (Morgenroth, Kirby, Ryan & Sudkämper, 2020). Stereotypisch weibliche Eigenschaften werden in schwierigen Zeiten als wichtige Merkmale einer Führungskraft angesehen, weshalb Frauen häufiger in schlecht laufenden Unternehmen zur Führung bestimmt werden (Kulich, Lorenzi-Cioldi, Iacoviello, Franilko & Ryan, 2015). Außergewöhnliche Umstände aktivieren eine stereotypische Wahrnehmung von Frauen als ehrliche, vertrauenswürdige und kompetente Wesen, was zu einer erhöhten öffentlichen Unterstützung für Frauen in politischen Ämtern führt. Die Corona-Pandemie hat als Ausnahmezustand das Potential, die Repräsentation von Frauen zu fördern (Piazza & Diaz, 2020).

Frauen werden zu Führungskräften ernannt, um nach außen Veränderungen zu signalisieren und sich von der alten Führung zu distanzieren (Morgenroth, Kirby, Ryan & Sudkämper, 2020). Weibliche Präsenz kann in Krisenzeiten vorteilhaft sein. Oft ist es jedoch nur eine strategische Entscheidung, eine nicht-traditionelle Führungskraft als neuen Ansatz einzusetzen. Im Vordergrund steht hierbei das symbolische Potential zur Veränderung statt des realen Potentials sowie eine positive Beeinflussung von Investoren (Kulich, Lorenzi-Cioldi, Iacoviello, Franilko & Ryan, 2015).

Quelle: https://www.freepik.com/free-vector/hand-drawn-female-team-leader_12177817.htm#query=female-leader&position=29

Eine neue Führungsstrategie kann ein proaktiver Weg zur Bewältigung einer Krise sein. Grundlage hierfür ist, dass die missliche Lage einer fehlerhaften Führung zugeschrieben wird. Bei schlechter Unternehmensleistung werden Frauen eher zu Führungspositionen berufen, wenn die Krise auf eine interne, kontrollierbare Ursache (z.B. mangelhafte Führung) zurückzuführen ist. Hingegen werden bei einer externen, unkontrollierbaren Ursache (z.B. globale Wirtschaftskrise) in geschwächten Unternehmen Frauen seltener als Führungskraft ausgewählt (Kulich, Lorenzi-Cioldi, Iacoviello, Franilko & Ryan, 2015). Da viele wirtschaftliche Schwierigkeiten im Zusammenhang mit Corona nicht auf schlechte Managementpraktiken beruhen, ist allerdings nicht mit deutlich mehr Frauen in herausfordernden Führungspositionen von Unternehmen zu rechnen.

Aktuelle Meinungsumfragen belegen eine große Unzufriedenheit mit politischer Führung und deren Umgang mit Corona. Daher könnte es im politischen Bereich zu einer Bevorzugung von Frauen kommen (Piazza & Diaz, 2020). Verstärkt wird dies durch die positive Berichtserstattung über die Pandemiebewältigung in frauengeführten Regionen (Piazza & Diaz, 2020). Bundeskanzlerin Merkel wird z.B. öffentlich für wissenschaftliche Fundierung, umfangreiches Testen, Transparenz, strenge Kontakt- und Reisebeschränkungen sowie ihre Appelle an die Öffentlichkeit zur Einhaltung der Vorschriften gelobt (Mahdawi, 2020, zitiert nach Piazza & Diaz, 2020).
Bei Betrachtung der USA fällt auf, dass US-Bundesstaaten mit weiblicher Führung weniger Todesfälle zu beklagen haben als von Männern geführte US-Staaten. Aufgrund empathischerer und vertrauensvollerer Kommunikation hielten sich mehr Personen an die Aufforderung, zuhause zu bleiben (Sergent & Stajkovic, 2020).

Besonders in Ländern mit männlicher Regierung führte die Corona-Pandemie zu hohen Vertrauensverlusten in der Bevölkerung. Zudem wird Gesundheit oftmals als Frauenthema angesehen. Frauen könnten als Pandemie-Vorbilder gelten, was die Wahlaussichten von Politikerinnen verbessern würde (Piazza & Diaz, 2020). Eine Meta-Analyse zeigte, dass der Effekt der gläsernen Klippe eher in der Politik als in der Wirtschaft eine Rolle spielt (Morgenroth, Kirby, Ryan & Sudkämper, 2020).

Frauen regieren eher in Ländern mit gut funktionierender Demokratie und hoher staatlicher Kapazität. Zwischen von Männern und von Frauen geführten OECD-Ländern konnten signifikante Unterschiede in Bezug auf transparente Gesetze, unparteiische Verwaltungen, Vertrauen, wahrgenommene Korruption, Sozialausgaben und Lebenszufriedenheit ermittelt werden. Solche Faktoren erleichtern es Regierungen, auf Pandemien adäquat zu reagieren. Vergleicht man jedoch nur die Länder mit hoher Kapazität untereinander, stellt man eine vergleichbare Corona-Todesrate unabhängig vom Geschlecht der politischen Führungskraft des Landes fest (Piscopo, 2020). Folglich sollten staatliche Kapazitäten erhöht werden, um ein Scheitern der Regierenden zu vermeiden.

Zusammenfassend ist auf politischer Ebene ein Anstieg von weiblich besetzten prekären Führungspositionen eher in politischen Ämtern von Ländern mit niedriger staatlicher Kapazität zu erwarten. Im wirtschaftlichen Kontext ist somit eine Zunahme von Frauen in problematischen Führungsverhältnissen deutlich weniger wahrscheinlich.

Weil Misserfolge bei Männern eher auf äußere Umstände und bei Frauen eher auf persönliche Versäumnisse geschoben werden, birgt die gläserne Klippe die Gefahr, Stereotypisierung und Ungleichheit zu verschärfen (Morgenroth, Kirby, Ryan & Sudkämper, 2020).  Eine weitere Gefahr besteht darin, dass weibliche Führungskräfte zu Ikonen der Pandemie gemacht werden könnten, was durch das Anhalten und Zuspitzen der Pandemie zu mehr Ablehnung gegenüber Frauen in Führungspositionen führen könnte (Piscopo, 2020).


Literaturverzeichnis

Kulich, C., Lorenzi-Cioldi, F., Iacoviello, V., Faniko, K. & Ryan, M. K. (2015). Signaling change during crises: Refining conditions for the glass cliff. Journal of Experimental Social Psychology, 61, 96-103. http://dx.doi.org/10.1016/j.jesp.2015.07.002

Morgenroth, T., Kirby, T. A., Ryan, M. K., & Sudkämper, A. (2020). The who, when, and why of the glass cliff phenomenon: A meta-analysis of appointments to precarious leadership positions. Psychological Bulletin, 146(9), 797-829. http://dx.doi.org/10.1037/bul0000234

Piazza, K. S. & Diaz. G. (2020). Light in the midst of chaos: COVID-19 and female political representation. World Development, 136, 105125. https://doi.org/10.1016/j.worlddev.2020.105125

Piscopo, J. M. (2020). Women leaders and pandemic performance: A spurious correlation. Politics and Gender, 16, 951-959. https://doi.org/10.1017/S1743923X20000525

Sergent, K. & Stajkovic, A. D. (2020). Women’s leadership is associated with fewer death during the COVID-19 crisis: Quantitative and qualitative analyses of United States governors. Journal of Applied Psychology, 105(8), 771-783. http://dx.doi.org/10.1037/apl0000577

Autor: anadurglishvili | 23. März 2021 | 17:49 Uhr

Categories: Allgemein | Tags:

Kommentar