Chancen und Herausforderungen für Social Entrepreneurship in Krisenzeiten wie der Corona-Pandemie
von Nicolette Heinze (1. Semester Master Psychologie – Human Performance in Sociotechnical Systems, Technische Universität Dresden)
Im Fokus dieses Blogbeitrags steht das soziale Unternehmertum (Social Entrepreneurship, SE). Hierbei wird beschrieben wie sich Krisensituationen auf Sozialunternehmer:innen auswirken, mit welchen Herausforderungen sie währenddessen konfrontiert sein können bzw. welche Chancen u. U. damit einhergehen. Als ein aktuelles Beispiel für eine globale Krise wird die COVID-19-Pandemie und deren Einfluss auf das soziale Unternehmertum thematisiert. Zunächst werden einige theoretische Aspekte zu SE beschrieben. Danach folgt ein Überblick darüber, welche Herausforderungen und Chancen für soziale Unternehmen in Krisenzeiten bestehen, wobei auch die Auswirkungen von Corona beschrieben werden. Der letzte Abschnitt umfasst eine Zusammenfassung.
1. Einleitung
Das wirtschaftliche Wachstum eines Landes ist abhängig von wettbewerbsfähigen und innovativen Unternehmen. Daher wird unternehmerisches Handeln auch „als Triebfeder für ökonomische Entwicklung“ (Grichnik et al., 2017, S.17) bezeichnet. Traditionell ist Unternehmertum eher gewinnorientiert ausgerichtet und wird mit Wettbewerbsfähigkeit, Marktorientierung und Profitgenerierung assoziiert (De Bernardi et al., 2021). Konventionelle Unternehmer konzentrieren sich vor allem darauf, die Bedürfnisse ihrer Kunden und Kundinnen zu befriedigen. Mit der Produktion von bestimmten Gütern oder Dienstleistungen wird die Nachfrage gestillt und somit Wertschöpfung erzeugt.
Allerdings steht die Gesellschaft mittlerweile vor ständig wachsenden Herausforderungen wie sozialer Ungleichheit oder Umweltverschmutzung. Durch die zunehmende Anzahl von sozialen und ökologischen Problemstellungen ist eine Weiterentwicklung dieser von Gewinnorientierung und Wettbewerbsfähigkeit geprägten Unternehmensstrategie notwendig geworden. Social Entrepreneurship stellt ein alternatives unternehmerisches Konzepte dar. Hierbei steht eine soziale Mission im Vordergrund. Somit ist das primäre Ziel von Sozialunternehmen, das Lösen von gesellschaftlichen Missständen (Dees, 1998). Sie weisen sowohl soziale als auch marktwirtschaftliche Eigenschaften auf und können als eine hybride Form des Unternehmertums (Dacin et al., 2010) angesehen werden. Zwar zielen soziale Unternehmen in erster Linie darauf ab, gesellschaftsbezogene Problemstellungen anzugehen, allerdings verfolgen Sozialunternehmer:innen auch monetäre Ziele, um ihre finanzielle Unabhängigkeit sowie ihren Fortbestand und ihren Erfolg sichern zu können (Dacin et al., 2010; Maaß & Schneck, 2017). Die ersten wissenschaftlichen Untersuchungen zum Bereich Social Entrepreneurship (SE) gehen auf Young (1983) sowie Waddock und Post (1991) zurück. So wurde der Begriff „SE“ erstmals von Young in seinem Buch „If Not for Profit, for What?” aufgegriffen. In seinen Ausführungen hinterfragt er, was eine Person dazu bewegen könnte, ihre Unternehmungen im gemeinnützigen Kontext zu verfolgen. Waddock und Post (1991) untersuchten in ihrer Arbeit, was Soziales Unternehmertum bedeutet und welche Rolle es im öffentlichen Sektor einnimmt. Die eigentliche Entwicklung des Forschungsfeldes beginnt jedoch erst Ende der 90er-Jahre (Bacq & Janssen, 2011).
Eine relativ aktuelle Krisensituation stellt die COVID-19-Pandemie dar. Sie hat neue gesellschaftliche Herausforderungen geschaffen und seit Jahrzehnten bestehende soziale Probleme verschärft. Corona und die damit verbundenen Einschränkungen beeinflussten auch den Sozialunternehmenssektor. Dieser Blogbeitrag soll einen Überblick darüber zu liefern, wie sich Krisensituationen allgemein und insbesondere die COVID-19 Pandemie auf soziale Unternehmen auswirken können. Hierfür wurde eine Literaturrecherche durchgeführt. Unter anderem werden dabei die Untersuchungen von Bacq et al. (2020) und Weaver (2020) beschrieben und diskutiert.
2. Soziale Unternehmen in Krisenzeiten
Grundsätzlich zählen zu den Hauptproblemen von Sozialunternehmen vor allem fehlende finanzielle und personelle Ressourcen (Braga, Proença, & Ferreira, 2014). Gerade in der Anfangsphase haben Social Entrepreneurs eine geringere Ressourcenausstattung und bekommen nur erschwert Zugang zu privaten Finanzmitteln (Murillo-Luna, García-Uceda & Asín-Lafuente, 2021). Während Krisenzeiten, die von großer Ungewissheit geprägt sind, ist es möglich, dass potentielle Kreditgeber:innen allerdings eher zögerlich mit Investitionen sind, da soziale Unternehmen als weniger profitabel und demzufolge riskanter angesehen werden (Di Domenico, Haugh, & Tracey, 2010). Dadurch fehlt ihnen oftmals die nötige finanzielle Unterstützung. Andererseits können Sozialunternehmen gerade Krisenzeiten nutzen, um dazu beizutragen, innovative Lösungen für die neuen Probleme zu entwickeln (Weaver, 2020). Zudem kann die doppelte Mission, die Sozialunternehmer:innen verfolgen, gerade in Phasen von großer wirtschaftlicher Ungewissheit von Nutzen sein.
Ferner benötigen Sozialunternehmer:innen ausgeprägte Netzwerkfähigkeiten (Sharir & Lerner, 2006). Die Zusammenarbeit mit anderen stellt einen grundlegenden Aspekt von Social Entrepreneurship dar und ermöglicht es, Fähigkeiten und Ressourcen zu erschließen oder gemeinsam Ziele zu erreichen (Montgomery, Dacin, & Dacin, 2012). Allerdings sind kollaborative Arbeitsprozesse nicht zwangsläufig mit Erfolg verbunden und können eine soziale Mission u. U. gefährden. Gerade in Krisenzeiten muss durch regelmäßigen kommunikativen Austausch sichergestellt werden, inwieweit die Zielvorstellungen aller beteiligten Parteien übereinstimmen, um so eine produktive Zusammenarbeit gewährleisten zu können (Murillo-Luna, García-Uceda & Asín-Lafuente, 2021). Laut Meyskens et al. (2010) haben Sozialunternehmen, die finanziell abgesichert sind, allerdings günstigere Voraussetzungen, um durch Krisenzeiten zu kommen. Dagegen haben Sozialunternehmen mit knapperen finanziellen Ressourcen in derartigen Situationen mehr Schwierigkeiten. Bereits im Vorfeld bestehende Hindernisse können somit noch zusätzlich erschwert werden.
Die COVID-19-Pandemie hat die gesamte Gesellschaft vor neue unbekannte Herausforderungen gestellt (Parnell et al. 2020). Im Dezember 2019 kam es in der chinesischen Großstadt Wuhan zu einem Ausbruch einer Infektionserkrankung der Atemwege mit unbekanntem Ursprung. Nach einigen Untersuchungen konnte festgestellt werden, dass die Erkrankung durch ein neuartiges Coronavirus ausgelöst wurde (Ciotti et al., 2020). SARS-CoV-2 (Severe acute respiratory syndrome coronavirus type 2) wird den Betacoronaviren zugeordnet (Kissler et al., 2020). Bei COVID-19 (coronavirus disease) handelt es sich um eine infektiöse Erkrankung, zu deren Symptomen Husten, Fieber und Atemnot zählen und die zumeist einen milden Verlauf aufweist (Ciotti et al., 2020). Allerdings kann sie auch schwerwiegende Folgen für Patient:innen haben, die aufgrund ihres Alters oder beispielsweise Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Krebs oder chronischen Atemwegserkrankungen vorbelastet sind (WHO, 2020). Viele Gesundheitssysteme litten unter den Auswirkungen des Ausbruchs des SARS-CoV-2-Virus. Darüber hinaus kam es zu weitreichenden Veränderungen von Lebens- und Arbeitsbedingungen (Ratten, 2020). Um die Ausbreitung des Virus zu verhindern, waren wir gezwungen, in physischer und sozialer Distanz zueinander zu leben. Folglich wurde vermehrt auf digitale Kommunikationsformen zurückgegriffen (Ratten, 2020). Es kam teilweise zu wochen- oder sogar monatelangen Schließungen von Unternehmen, Betrieben, Geschäften, Institutionen oder öffentlichen Einrichtungen (Liguori & Winkler, 2020). Allerdings sind die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie auf den Sozialunternehmenssektor bisher weitestgehend unerforscht. Eine der wenigen Untersuchungen wurde von Weaver (2020) durchgeführt. Sie führte eine Literaturrecherche durch und versucht anhand ihrer Überlegungen aufzuzeigen, inwieweit das SARS-CoV-2-Virus Sozialunternehmen beeinflusst haben könnte. Als einen Aspekt, der sich auf das soziale Unternehmertum während der Pandemie ausgewirkt hat, beschreibt sie in ihren Ausführungen die Identifizierung von Finanzierungsquellen. Sozialunternehmen verfolgen, anders als das konventionelle Unternehmertum, eine soziale Mission und sind weniger gewinnorientiert ausgerichtet, sodass es für sie grundsätzlich schwieriger ist, Investor:innen zu finden (Murillo-Luna, García-Uceda & Asín-Lafuente, 2021). Die Pandemie hat das womöglich zusätzlich erschwert, was laut Weaver (2020) wiederum zu einer Aneignung strategischer Sparsamkeit geführt haben könnte. Aufgrund der Ungewissheit, die durch das SARS-CoV-2-Virus ausgelöst wurde, könnten zudem Aktivitäten, die keine Einnahmen stützen, begrenzt bzw. eingestellt wurden sein. Die Untersuchungen von Weaver (2020) identifizieren auch die geografische Lage als einen möglichen Einflussfaktor während der Pandemie. Sozialunternehmen, die sich in verarmten oder sogar notleidenden Regionen befinden, sind u. a. auf die Bereitstellung von finanzieller Unterstützung durch die Politik, Möglichkeiten zur Zusammenarbeit sowie gezielte Förderung und Finanzierung angewiesen, um so durch die Krise kommen zu können (Kuckertz et al. 2020; Weaver, 2020). Nach den Überlegungen von Weaver (2020) sollten Sozialunternehmer:innen flexiblere Pläne und Ziele annehmen, um so besser die COVID-19-Pandemie bewältigen zu können. Damit geht auch die Einführung von Krisenmanagement- und Resilienzstrategien einher.
Für die Entwicklung von Ideen, die sowohl eine soziale als auch eine unternehmerische Mission verfolgen, ist Kreativität bedeutsam. So fanden Bacq et al. (2020) heraus, dass durch die COVID-19-Pandemie die Kreativität erhöht wird. Als Reaktion auf die Pandemie organsierten sie einen dreitägigen „virtual idea blitz“. Die Veranstaltung wurde innerhalb von einer Woche geplant. Insgesamt nahmen 200 Personen aus verschiedenen Teilen der Welt teil. Darunter waren beispielsweise Unternehmer:innen, Studierende, Branchenfachleute oder Ärzte/Ärztinnen. Bei insgesamt 21 Pitches konnten Ideen zu fünf verschiedenen Themenbereichen – Gesundheitsbedarf, Bildung, Kleinunternehmen, Gemeinschaft und Einkauf – entwickelt werden. Eine Gruppe von Management- und Entrepreneurship-Fakultäten der Kelley School of Business der Indiana University diskutierte das Konzept für den „virtual idea blitz“ erstmalig intern am 16.03.2020 (Bacq et al., 2020). Demnach sollte es bei der Veranstaltung darum gehen, zusammen Ideen und Lösungen für Probleme und Herausforderungen zu entwickeln, die im Zuge der Pandemie entstanden sind. Danach wurde die restliche Woche zur Planung und Organisation genutzt. Letztlich fand die Veranstaltung am folgenden Wochenende (20.03.2020 bis 22.03.2020) über Zoom statt.Tatsächlich brachte die Durchführung im digitalen Rahmen einige Vorteile mit sich. So musste kein Versammlungsraum organisiert werden. Dadurch waren keine finanziellen Mittel erforderlich. Darüber hinaus ermöglichte eine digitale Veranstaltung deutlich mehr Flexibilität. Ferner konnten Teams mit Mitgliedern aus der gesamten Welt gebildet werden, ohne dass Übernachtungs- oder Reisekosten entstanden. Bacq et al. (2020) gaben an, dass unter den Teilnehmenden ein starkes Gemeinschaftsgefühl entstand.
#RealHeroesNeedMasks war eines der Teams, das sich beim „virtual idea blitz“ zusammengefunden hat. Nach der Veranstaltung hat diese Gruppe gemeinsam mit u. a. Prominenten, Sportler:innen und wichtigen Meinungsbildnern:innen eine Kampagne in den sozialen Netzwerken gestartet. Dabei ging es darum, Bewusstsein für den Mangel an Schutzausrüstung zu schärfen und dadurch Maßnahmen zu mobilisieren, um Ausrüstung medizinische Fachkräfte zu beschaffen. Das Team konnte eine Spende von über 21.000 Masken erzielen. Letztlich ist anzumerken, dass durch die Veranstaltung Teilnehmer:innen aus verschiedenen Gruppen mit komplementären Fähigkeitsspektren zusammenkamen, sodass dadurch ein kreativer Austausch möglich war (Bacq et al., 2020). Der digitale Rahmen des „virtual idea blitz“ sorgte für Flexibilität und ermöglichte insgesamt schnelles Handeln. Allerdings hätte mehr Zeit bei der Organisation zu einer effektiveren Koordination von Trainer:innen, Mentor:innen und Seminarleiter:innen geführt.
3. Zusammenfassung
Dieser Blogbeitrag soll einen Überblick darüber zu liefern, wie Sozialunternehmen mit Krisensituationen – wie beispielsweise der Corona-Pandemie – umgehen. Zunächst wurde aus den Untersuchungen von Weaver (2020) deutlich, dass eines der grundlegenden Probleme von Sozialunternehmen – die fehlenden finanziellen und personellen Ressourcen – durch die Pandemie womöglich zusätzlich erschwert wurde. Krisenzeiten sind von immenser Ungewissheit geprägt. Dazu kommt, dass soziale Unternehmen vorrangig eine soziale Mission verfolgen, dies bedeutet, dass monetäre Ziele nicht im Vordergrund stehen. Deshalb ist es möglich, dass potentielle Kreditgeber:innen eher zögerlicher mit Investitionen sind. Durch die Corona-Pandemie wurde die Identifizierung von Finanzquellen also erschwert (Weaver, 2020). Zudem fand sie in ihrer Untersuchung heraus, dass die Ungewissheit, die SARS-CoV-2 ausgelöst hat, dazu geführt hat, dass Aktivitäten, die keine Einnahmen stützen, begrenzt oder eingestellt wurden. Weiterhin legen die Ergebnisse der Untersuchung nahe, dass Sozialunternehmer: innen die COVID-19-Pandemie besser bewältigen können, wenn sie in der Lage sind, flexiblere Pläne und Ziele anzunehmen. Tatsächlich stellt die Förderung von Sozialunternehmen während Krisen einen wichtigen Aspekt dar, um soziale und ökologische Veränderungen herbeizuführen. Einige andere Untersuchungen (u. a. Ruiz-Rosa et al., 2020) zeigen jedoch, dass die Absicht, sozialunternehmerisch tätig zu werden durch die COVID-19-Pandemie gesunken ist.
Bacq et al. (2020) stellte fest, dass die Pandemie die Kreativität erhöht. Sie haben als Reaktion auf Corona einen „virtual idea blitz“ veranstaltet. Dabei haben sich 200 Teilnehmende zusammengefunden und gemeinschaftlich Lösungen entwickelt, um Probleme und Herausforderungen anzugehen, die COVID-19 ausgelöst hat. Letztendlich konnten Ideen zu fünf Themenbereichen – Gesundheitsbedarf, Bildung, Kleinunternehmen, Gemeinschaft und Einkauf – gesammelt werden. Eine Krise wie die Corona-Pandemie bringt viele Herausforderungen mit sich. Dennoch ist es möglich eine solche Situation als Chance zu nutzen, um so Veränderungen zu initiieren. Gerade Sozialunternehmer:innen besitzen das Talent und die Vision, soziale Missstände zu erkennenund entsprechende Idee zu entwickeln, um gegen diese vorzugehen (Murillo-Luna, García-Uceda & Asín-Lafuente, 2021). Letztlich ist allerdings anzumerken, dass es bisher zum Einfluss von COVID-19 auf Social Entrepreneurship nur sehr wenige empirische Daten gibt. Daher ist es notwendig in Zukunft weitere Untersuchungen diesbezüglich durchzuführen.
Bacq, S., Geoghegan, W., Josefy, M., Stevenson, R. & Williams, T. A. (2020). The COVID-19 Virtual Idea Blitz: Marshaling social entrepreneurship to rapidly respond to urgent grand challenges. Business Horizons, 63(6), 705–723. https://doi.org/10.1016/j.bushor.2020.05.002
Bacq, S. & Janssen, F. (2011). The multiple faces of social entrepreneurship: A review of definitional issues based on geographical and thematic criteria. Entrepreneurship & Regional Development, 23(5–6), 373–403. doi:10.1080/08985626.2011.577242
Braga, J., Proença, T. & Ferreira, M. (2014). Motivations for social entrepreneurship – Evidences from Portugal. Tékhne, 12, 11–21. https://doi.org/10.1016/j.tekhne.2015.01.002
Ciotti, M., Ciccozzi, M., Terrinoni, A., Jiang, W. C., Wang, C. B. & Bernardini, S. (2020). The COVID-19 pandemic. Critical Reviews in Clinical Laboratory Sciences, 57(6), 365–388. https://doi.org/10.1080/10408363.2020.1783198
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