Lehrraum Straßburger Platz
Völlig vergessen wird manchmal, dass zukunftsweisende Lehrräume gar nicht immer von vorne bis hinten durchdigitalisiert sein müssen. Unser Projektname suggeriert das ja auch manchmal. Und Digitalisierung ist ja auch das Hype-Thema schlecht hin. Vergessen wird dabei manchmal, dass wir unsere Gesellschaft als Dienstleistungsgesellschaft betrachten. Und diese besteht eben doch aus mehr als aus anonymer Produktauswahl im Online-Shop und Lieferung innerhalb der nächsten 2-3 Werktage. Konsequenterweise werden an der AFFB – der Akademie für Berufliche Bildung – eben auch Berufe des tertiären Sektors ausgebildet. Der neue Campus am Straßburger Platz wurde soeben eingeweiht und der Lehrbetrieb aufgenommen. Junge Leute lernen dort beispielsweise den Umgang mit Kunden oder wie man mit Kindern und Jugendlichen kocht. Na klar, Informations- und Kommunikationstechnik spielen natürlich auch eine große Rolle bei der AFBB, es ist aber deutlich zu spüren, dass dem Umgang mit Menschen aber ein erhebliches Maß an Aufmerksamkeit geschenkt wird. Eine voll funktionsfähige Lehrküche, ein Gymnastikraum oder ein Verkaufsraum zur Simulation von Kundengesprächen zeigen deutlich, dass mit Digitalisierung allein noch nichts gewonnen ist. Wie gesagt, es geht nicht alleine um Dienste, es geht um den Umgang zwischen Menschen.
Wir vergessen das manchmal bei all den düsteren Aussichten, die verschiedentlich geäußert werden. Da heißt es dann beispielsweise, dass Deutschland bei der Digitalisierung zum ersten Mal in der Geschichte technischer Innovationen nicht ganz vorne dabei sei. In der Keynote zur GeNeMe 2017 hat beispielsweise Prof. Schönfeld zu bedenken gegeben, dass kein börsennotiertes Unternehmen im Spitzenfeld der digitalen Wirtschaft zu finden sei. Mag sein und ist sicherlich auch ziemlich bedauerlich. Es bleibt aber eben doch ein Phänomen des sekundären Sektors und lässt außer Acht, dass es neben den börsennotierten Global Playern einen ziemlich kreativen Mittelstand gibt. Beispielsweise eben unseren Projektpartner im Forschungsprojekt Lehrraum_digital – die AFBB. Deren Geschäftsführer, Rolf Kahle, zeigte sich dann auch entsprechen stolz. Stolz auf seine Mitarbeiter, stolz auf die Partner in Bauplanung und –ausführung (IPROconsult und Köster Bau) und stolz auf die Finanzinstitute, die mitgeholfen haben, das Bau-Projekt am Straßburger Platz zu realisieren. Die Bauausführenden sowie die AFBB, alles Mittelständler, wie Kahle betonte, bei denen Vertrauen eher durch persönliche Kontakte entstehe – in über 70 Baubesprechungen des 20-Millionen-Projekts beispielsweise – und weniger durch Börsenwerte.
Lehrreich war für Digital-Fans wie uns der Besuch aber allemal. Denn nach den Eröffnungsreden konnten wir uns bei einem Rundgang durch das neue Gebäude davon überzeugen, dass Digitalisierung durchaus ein Thema für die AFBB ist, dass aber Digitalisierung nicht zum planlosen Medienspektakel wird. Es gibt ein Netzwerklabor, in dem die Auszubildenden strukturierte Netzwerke aufbauen können und dabei auch Fehler machen dürfen, denn Ausbildungsnetz und Verwaltungsnetz sind komplett voneinander getrennt. Ein PC-Kabinett bietet darüber hinaus die Möglichkeit, in Klassenstärke Software der unterschiedlichen Berufsgruppen auszuprobieren und den professionellen Umgang damit zu erlernen. Ein dezent eingesetztes Informations-System gibt aktuelle Hinweise über Veranstaltungen im Haus. Kein mediales Feuerwerk, dafür funktional und unaufdringlich. In einem Fitness-Raum können sich die Mitarbeiter der AFBB den notwendigen Ausgleich zum Bürostuhl verschaffen – mit Blick auf Rathaus und Frauenkirche.
Für das Projekt Lehrraum_digital bringen solche Beobachtungen wichtige Erkenntnisse, denn es geht uns ja darum, offensichtlich gut funktionierende Ansätze in der beruflichen Bildung unter die Lupe zu nehmen, um eines Tages möglicherweise nicht die abgefahrensten Ideen zu präsentieren, dafür aber realistische Handlungsempfehlungen geben zu können. Und so wurde uns zugesagt, in Kürze nochmal einen genaueren Blick hinter die Kulissen der AFBB werfen zu dürfen. Nicht selbstverständlich wie wir finden und entsprechend gespannt sind wir jetzt schon darauf.
09. November 2017 um 3:10
Danke für den interessanten Einblick in den neuen FHD/AFBB Campus. Ich lasse mich aktuell auf der 12. International Conference on Knowledge, Information, and Creativity Support Systems in Nagoya [http://www.itolab.nitech.ac.jp/KICSS2017/index.html?utm_source=researchbib] inspirieren und habe die Ausstattung des hiesigen Hörsaales mit Steckdosen und individueller Beleuchtung (!) an jedem einzelnen Platz als technologisch sehr klassisch und trotzdem ungewöhnlich mit Begeisterung aufgenommen und direkt im Foto festgehalten. Mein Fazit – und vielleicht gilt dies ja auch für die AFBB: eine unverkrampfte Mischung des technisch Machbaren mit den einem guten Blick für die Nutzer ist der Schlüssel zu einer zeitgemäßen Ausstattung.
10. November 2017 um 13:07
Vielen Dank, lieber Prof. Köhler, für Ihren Kommentar. Die (fotografischen) Eindrücke aus Japan würden mich natürlich interessieren. Gespannt bin ich auch auf Ihre Einschätzung, ob und wie die Ansätze anderer Kulturkreise für unsere eigenen Lehr- und Lernräume im heimischen Dresden förderlich sein können.