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Psychologie im Arbeitsleben

Beiträge mit dem Tag: Jobwechsel

New Work: Chancen & Risiken

von Aryna Belskaya, Tabea Kißmann, Luca Schmieder (1. Semester Master Psychologie – Human Performance in Sociotechnical Systems, Technische Universität Dresden)

Veränderung kann etwas sehr positives sein.

Unsere Arbeitswelt steht immer mehr im Wandel und passt sich gegenwärtigen sowie zukünftigen dynamischen Trends an. Dazu zählt insbesondere der gesteigerte Informationszuwachs, der es erschwert Informationen zu generieren und Wissen daraus abzuleiten. Der demografische Wandel, die Globalisierung und die Digitalisierung haben ebenfalls Einfluss auf die Arbeit in Organisationen. Die aufgeführten Zukunftstrends können einerseits als eine Art Chance für neue Märkte gesehen werden, anderseits stellen klassische Hierarchiestrukturen einHindernis für die Bewältigung dar, weil diese den Wissensaustausch in Unternehmen behindern und zu Frustration in der Belegschaft führen können. Um genau diese Frustrationen zu vermeiden, soll es zu einer Demokratisierung der Strukturen kommen. Dieser Prozess wird unter dem bekannten Label „New Work“ angeführt. Oftmals werden vor allem Arbeitsformen wie OpenSpace-Büros, Home-Office und Agiles Arbeiten mit diesem Begriff in Verbindung gebracht, um nur ein paar Beispiele anzuführen.

Im weiteren Verlauf werden insbesondere die Begriffe New Work, Empowerment sowie Agiles Arbeiten näher beleuchtet und in einen Zusammenhang gebracht. Darüber hinaus werden die theoretischen Definitionen in die Praxis eingebettet, um Erkenntnisse über mögliche Chancen und Risiken für zukünftige Arbeit in Organisationen zu gewinnen.

Der Begriff New Work wird von dem Austro-Amerikanischen Philosophieprofessor Frithjof Bergmann geprägt. Inhaltlich geht es um den Wandel des Arbeitsbegriffes. Weg vom Taylorismus, den Menschen als Werkzeug für die Arbeit zu sehen und hin zu einem humanitären Ansatz. Das Wohlbefinden des Menschen soll fortan im Mittelpunkt stehen. Die Arbeit soll nun nicht mehr als Belastung angesehen werden, sondern viel mehr als Förderung des Individuums, an dem dieses sowohl persönlich als auch fachlich wachsen kann. Insbesondere Technologien sollen beim Arbeitsprozess unterstützende Hilfe leisten, um diese zu vereinfachen.
Zusammenfassend soll eine neue Wirtschafts- und Gesellschaftsform mit den Hauptmerkmalen Kompetenzerfahrung, Sinnerleben und Selbstständigkeit entstehen. New Work ist aus heutiger Sicht ein unübersichtlicher Sammelbegriff für viele Maßnahmen aus den Bereichen Demokratisierung, Digitalisierung und Dezentralisierung geworden. Laut einer Umfrage aus dem Jahr 2017, durchgeführt durch die Unternehmensberatung Kienbaum, gaben 74% der Unternehmen an, sich mit dem Thema New Work zu befassen. Bei 63% der Befragten existieren bereits New Work Initiativen, wie zum Beispiel die Einführung von Home-Office. Somit ist die eigentliche Zielvorstellung von Bergmann über die Jahre verloren gegangen. (Schermuly & Koch, 2019).

Ein Jobwechsel führt zu viel Unsicherheit. Diese Unsicherheit könnte durch Ratgeber in wenig vermindert werden.

Psychologisches Empowerment

Eines der zentralen Ziele von New-Work-Maßnahmen ist das sogenannte psychologische Empowerment von Beschäftigten. Der Begriff wurde von Gretchen Spreitzer geprägt und sieht das Individuum als wichtigen Ansatzpunkt auf dem Weg zur Demokratisierung von Organisationen (Spreitzer, 1995). Es werden vier Faktoren unterschieden, die das Konstrukt psychologisches Empowerment formen: Bedeutsamkeit (Arbeit wird als wichtig und sinnvoll erlebt), Kompetenz (Glaube an erfolgreiche Ausführung der Arbeit), Selbstbestimmung (Gestaltunsspielräume in Arbeitsprozessen) und Einfluss(Beeinflussung der Ergebisse eigener Arbeit). Gemeinsam bringen diese vier Dimensionen zum Ausdruck, wie positiv die Beschäftigten einer Organisation die eigene Arbeitsrolle sowie die damit verbundenen Arbeitsstrukturen bewerten, und bringen somit das Konzept New Work an die ursprüngliche Definition von Bergmann zurück (Schermuly & Koch, 2019). Empirische Forschung zeigt, dass psychologisches Empowerment mit den typischen arbeitsbezogenen Konsequenzen von New-Work-Maßnahmen (wie Arbeitszufriedenheit oder organisationales Commitment) assoziiert werden kann (Seibert, Wang & Courtright, 2011). Dementsprechend soll psychologisches Empowerment unter anderem das Ziel von New-Work-Maßnahmen sein.

Empowerment ist ein sehr wichtiger Begriff für die Veränderung des Affekts beim Arbeiten.

Agiles Arbeiten

Agile Team-Arbeit ist einer der verbreitetsten New-Work-Maßnahmen, die das Erleben psychologischen Empowerments und somit das Auftreten positiver arbeitsbezogener Konsequenzen begünstigt (Schermuly & Koch, 2019). Der Begriff Agiles Arbeiten wurde in seinem modernen Verständnis von einer Gruppe von 17 Software-Entwicklern geprägt (Sauter, Sauter & Wolfig, 2018), die in ihrem Agilen Manifest die zentralen Werte für eine erfolgreiche Software-Entwicklung bestimmt haben (Beck et al., 2011). Inzwischen sind agile Methoden nicht nur auf die Anwendung im IT-Bereich beschränkt, sondern werden von Unternehmen aus verschiedenen Branchen genutzt (Komus, 2017). Der Hauptzweck agiler Team-Arbeit ist eine flexible Anpassung an die sich rasant ändernden Anforderungen der Umwelt (wie Kundenbedürfnisse), die durch enge Zusammenarbeit und ständige Zieloptimierung erreicht wird. Autonomie, Gleichberechtigung und Kundeninvolvierung stellen dementsprechend die drei wichtigsten Prinzipen der agilen Projektarbeit dar (Schermuly & Koch, 2019). Zu den verbreitetsten agilen Methoden gehören zum Beispiel Scrum und Kanban (Komus, 2017). Empirisch konnte gezeigt werden, dass das Arbeiten in agilen Settings mit einem geringeren Stresserleben, einer niedrigeren Depressionsneigung sowie weniger Überstunden einhergeht (Tuomivaara, Lindholm & Känsälä, 2017; Syed-Abdullah, Holcombe & Gheorge, 2006; Mann & Maurer, 2005). Dabei scheint das psychologische Empowerment die Zusammenhänge zwischen agilen Arbeitsmethoden und positiven arbeitsbezogenen Konsequenzen (wie innovatives Verhalten) durch agile Kommunikation sowie gesteigerte Autonomie von Beschäftigten zu mediieren (Malik, Sarwar & Orr, 2021). Nichtsdestotrotz kann die gesteigerte Arbeitsintensität, die durch ungeregelte Arbeitszeiten sowie den Beschäftigten zur Verfügung gestellten großen Entscheidungsspielraum verursacht wird, auch zu negativen gesundheitlichen Konsequenzen für Beschäftigte führen (Müller & Wille, 2019).

Saskia Rudolph von der Firma „Spiegelneuronen – Positive Psychologie GmbH“ zu den Chancen & Risiken von New Work

Wir hatten Gelegenheit, mit der Psychologin Saskia Rudolph über das Thema New Work zu sprechen und zu erfahren, welche Bedeutung New Work in ihrer täglichen Arbeit einnimmt und welche Chancen und Risiken sie mit dem Konzept verbindet. Saskia Rudolph studierte Interkulturelle Germanistik, Psychologie und Rechtswissenschaft an der Technischen Universität Dresden. Auf Basis von Erkenntnissen aus der Positiven Psychologie untersucht sie, was den Menschen glücklich macht und was das Leben gelingen lässt. Gemeinsam mit ihrer Kollegin, der Diplompsychologin und approbierten Psychotherapeutin Andrea Horn, gründete sie die Firma Spiegelneuronen – Positive Psychologie GmbH in Dresden. Die selbsternannten Spiegelneuronen widmen sich einer noch recht jungen Wissenschaft, die erforscht, was das Leben lebenswert macht, der Positiven Psychologie. Unter anderem beschäftigen sich die Spiegelneuronen mit den Konzepten Themen New Work, Sustainability, Positive Leadership, Generation Y / Millenials, Mind-Body-Medicine, Digital Detox und Social Responsibility. Je nach Zielgruppe und Kundenwunsch werden die Angebote als Projektkonzeptionen, Impulsvorträge, Workshops, Intensivschulungen oder Freizeit- und Edutainmentveranstaltungen angeboten.

Einmal ganz subjektiv aus deiner Sicht: Was bedeutet für dich NEW WORK?

Alles und nichts (lacht). Ich finde, je weniger man darüber weiß, desto einfacher ist es, etwas darüber zu sagen. Durch die Unternehmenswelt geht seit ein paar Jahren so ein großer Ruck. Der, das muss man dazu sagen, meiner Meinung nach bei 98% der Unternehmen gar nicht ankommt. Und 2% versuchen jetzt alles anders zu machen. Hierzu mal ein paar Stichpunkte: Abschaffung von Hierarchien; agile Arbeitsformen; Holokratie, Arbeiten in Zirkeln, statt in hierarchischen Befehlsketten; Arbeiten miteinander und auf Augenhöhe; keine festen Arbeitszeiten. Alles ist total flexibel. Weil das Thema Arbeit ganz neu definiert, technologisiertund digitalisiert wird, braucht es den Menschen in der ursprünglichen Art an ganz anderen Stellen und an vielen Stellen überhaupt nicht mehr. Das bringt mich dazu, das Wesen von New Work zu hinterfragen. Welchen Sinn hat denn eigentlich meine Arbeit? Und da sind wir auf der Psychologen*innenebene. Wir brauchen eine sinnvolle Beschäftigung, um psychisch gesund zu bleiben und uns als Teil der Gesellschaft sehen zu können.

Der Beginn eines neuen Jobs aktiviert viele Assoziationen und kann ein spannendes Erlebnis sein.

Welche Chancen und Risiken bietet der Wandel in Digitalisierung und Globalisierung?

Das ist dieses Jahr natürlich die beste Frage, die du stellen kannst. In der aktuellen Lage bietet der Wandel die Chance, dass überhaupt irgendetwas weitergeht. Beschäftigte fallen aus oder erreichen ihren Arbeitsplatz nicht mehr und sind auf alternative Kommunikation- und Arbeitskonzepte angewiesen. Ich sehe auch Chancen, wenn Austausch über Ländergrenzen hinweg stattfinden soll oder wenn internationale Zusammenarbeiten angestrebt wird. Digitalisierung bezieht sich neben Arbeitsprozessen aber immer auch auf die Weitergabe von Wissen. Das schafft viel mehr Aufgeräumtheit, wenn man es richtig macht. Darin sehe ich die größte Chance. Das Problem, insbesondere des rasanten digitalen Wandels, sehe ich in der Reizüberflutung. Unser Gehirn hat überhaupt noch nicht gelernt, wie es mit dieser endlosen Vielfalt umgehen soll. Aber wir als Mensch bemerken das erstmal gar nicht. Wir werden immer kranker, angespannter und fahriger. Wir denken, die schnelle Veränderung ist ganz normal, es muss so sein. Das stimmt aber überhaupt nicht. Tatsächlich kommen wir nicht mehr hinterher. Die große Belastung besteht darin, dass wir jederzeit alles abrufen können und erreichbar sind. Man selbst sollte sich hier strikte Grenzen setzen, auch ArbeitgeberInnen sollten Mechanismen implementieren, um seine Beschäftigten zu schützen.

Welche Bedeutung hat Agiles Arbeiten für dich? Kannst du Beispiele aus der Praxis geben?

Das Thema schwirrt immer mal an uns vorbei. Allerdings ist das nichts, womit wir konkret arbeiten. Ich weiß schon, was dahintersteckt, halte es allerdings für einen Trend. Agiles Arbeiten kann als Weiterentwicklung von Design Thinking verstanden werden. In meinen Augen sind diese Begrifflichkeiten eine Hülle, die einige Menschen total gut ausfüllen können.
Andere wiederum bewegen sich lediglich in der Theorie, weil sie es im Endeffekt selbst nicht verstanden haben. Genauso denke ich, dass agiles Abreiten der nächste Trend dieser Art ist. Ich zitiere mal eben meine Germanistikprofessorin an der Uni. „Das ist alles alter Wein in neuen Schläuchen“. Letztlich kommt es immer wieder auf urmenschliche Werte, auf die Basics menschlicher Kommunikation und menschlicher Zusammenarbeit zurück. Grundgedanken agilen Arbeitens wie flachere Hierarchien, offene Kommunikation, Partizipation und dynamische Arbeitsprozesse sind auch die Grundideen von New Work. Ich denke, wir sollten alle agil arbeiten, das ist aber kein neues Konzept. Ist es nicht traurig, dass das, was wir hier aufgezählt haben als Innovation gehandelt wird? Ich frage mich eher, wie Firmen bisher bestehen konnten, die nicht so gearbeitet haben.

Agiles Arbeiten ist ein komplexes Thema.

Was denkst du – wo stehen wir beim Thema NEW WORK in 5 Jahren?

Alle wissen jetzt, wie Homeoffice ist. Jedenfalls alle, die von zuhause aus arbeiten konnten. Physisch distanzieren wir uns aber zunehmend. Es müssen nun Mechanismen geschaffen werden, die gewährleisten, dass weiterhin Begegnung, zwischenmenschlicher Austausch und das Gefühl von Gemeinsamkeit entsteht. Sonst wird’s richtig Mist. Also ich sehe das utopisch, nicht dystopisch. Der Coachingmarkt explodiert, daran merkt man, dass die Menschen Orientierung suchen. Obwohl es unheimlich viele Neuerungen und Neuheiten auf dem Markt gibt, haben wir immer noch das Gefühl, dass die Basics menschlicher Emotionen, menschlicher Regungen, menschlicher Kommunikation noch nicht ausreichend geklärt sind. Hier müssen wir Aufklärung betreiben, weil die Leute noch zu wenig wissen. Woher denn auch? Deine Arbeit oder New Work kannst du nur verrichten, wenn es dir gut geht. Und genau da müssen wir ansetzen.

Die Arbeit im Home Office kann mit vielen Abenkungen einhergehen.

Zusammenfassung

New Work umfasst ein weites Feld von alternativen Arbeitskonzepten, die mit der zunehmenden Digitalisierung und Globalisierung einhergehen und Chancen wie Risiken für unseren Arbeitsalltag bieten. Dieser Wandel scheint allerdings noch nicht in allen Unternehmen angekommen zu sein. Insbesondere durch die Digitalisierung unserer Arbeitsprozesse wird der Austausch von Informationen vereinfacht und die standortunabhängige Zusammenarbeit, auch über Ländergrenzen hinweg. Darüber hinaus kann Digitalisierung Ordnung schaffen und der Abruf von Informationen am Arbeitsplatz wird erleichtert. Allerdings gehen einige Problematiken mit diesem Wandel einher. Risiken entstehen zum Beispiel durch permanente Erreichbarkeit, Reizüberflutung und dem Ziel immer höher, schneller und weiter zu kommen. Um die psychische Gesundheit zu erhalten, sollten wir die Veränderungen unserer Arbeitswelt stetig reflektieren, Chancen ergreifen sowie uns selbst Grenzen setzen.

Literaturverzeichnis

Cunningham, W. (2001). Manifest für Agile Softwareentwicklung. Online unter: http://www. agilemanifesto. org/iso/de/principles. html [Zugegriffen am 18.06. 2017].

Malik, M., Sarwar, S., & Orr, S. (2021). Agile practices and performance: Examining the role of psychological empowerment. International Journal of Project Management, 39(1), 10-20.

Mann, C., & Maurer, F. (2005, July). A case study on the impact of scrum on overtime and customer satisfaction. In Agile Development Conference (ADC’05) (pp. 70-79). IEEE.

Schermuly, C. C., & Koch, J. (2019). New Work und psychische Gesundheit. In Fehlzeiten-Report 2019 (pp. 127-139). Springer, Berlin, Heidelberg.

Schermuly, C. C., & Koch, J. (2019). New Work und psychische Gesundheit. In Fehlzeiten-Report 2019 (pp. 127-139). Springer, Berlin, Heidelberg.

Seibert Scott, E., Wang, G., & Courthright, S. H. (2011). Antecedents and consequences of psychological and team empowerment in organizations: A meta-analytic review. Journal of Applied Psychology, 96(5), 981-1003.

Spritzer, G. M. (1995). Psychological empowerment in work place, dimensions, measurement and validation.

Syed-Abdullah, S., Holcombe, M., & Gheorge, M. (2006). The impact of an agile methodology on the well being of development teams. Empirical Software Engineering, 11(1), 143-167.

Tuomivaara, S., Lindholm, H., & Känsälä, M. (2017). Short-term physiological strain and recovery among employees working with agile and lean methods in software and embedded ICT systems. International Journal of Human–Computer Interaction, 33(11), 857-867.

Autor: s7228601 | 19. April 2021 | 17:29 Uhr

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