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Psychologie im Arbeitsleben

Beiträge mit dem Tag: Teamzusammensetzung

„Wie gestaltet man eigentlich innovative Teams, Herr Henn?“

innovative Ideen zur Teamleitung aus der Praxis

von Eva Louise Kaseler, Tamar Pavliashvili und Jana Schöppe (1. Semester Master Psychologie – Human Performance in Sociotechnical Systems, Technische Universität Dresden)

„Wie gestaltet man innovative Teams, Herr Henn?“. Mit dieser Frage muss sich Martin Henn regelmäßig beschäftigen, denn er ist Managing Director der HENN Architects, einem Architekturbüro mit Sitzen in Berlin, München und Peking. Martin Henn hat unter anderem in London und New York gearbeitet und leitet das Familienunternehmen, das bereits sein Vater gründete. Mit seinen rund 350 Mitarbeiter*innen arbeitet er an Bau-Projekten in aller Welt für namenhafte Kunden wie Zalando. Wir hatten die Chance ihn zu treffen und ihm Fragen zum Arbeiten in Teams, Diversity und Innovation zu stellen. 

Martin Henn in seinem „Büro der Zukunft“
Bildquelle: https://www.world-architects.com/en

Innovation

„Bei uns geht’s ja den ganzen Tag darum eigentlich.“

In Zeiten raschen Wandels und hohen Wettbewerbs zwischen Unternehmen ist der Begriff der Innovation in aller Munde. Auch Henn spricht davon, schließlich sei ein Gebäude jedes Mal die Antwort auf eine konkrete Fragestellung und somit auch jedes Mal irgendwie eine Innovation. 

Aber wie lässt sich Innovation aus wissenschaftlicher Sicht beschreiben, wie lässt sie sich fördern oder gar messen? 

Dass Innovation und Kreativität irgendwie zusammengehören, wird wohl die wenigsten verwundern. Auch wissenschaftliche Beschreibungen verknüpfen diese beiden Konzepte – und beschreiben Innovation als einen zweistufigen Prozess, bei dem in einer ersten Phase die Entwicklung neuer Ideen im Vordergrund steht bevor es in einer anschließenden zweiten Phase um die Realisierung dieser Ideen geht. Somit erfordert Innovation immer eine Kreativitäts- und eine Implementierungsphase (Hülsheger et al., 2009). Dabei unterscheiden sich die Phasen wesentlich in ihren optimalen Rahmenbedingungen. Während der Innovationsprozess in der Implementierungsphase wesentlich von hohen äußeren Anforderungen wie Zeitdruck oder Wettbewerb profitiert, sind diese Faktoren in der Kreativitätsphase hinderlich. Neben zeitlichen Freiräumen und positiven Affekten ist hier auch ein Gefühl der sozialen Sicherheit wichtig.

Wer befürchtet, für seine eingebrachten Ideen Spott zu ernten, bloßgestellt oder in seinem Identitätsgefühl verletzt zu werden, wird hier weniger gute Leistungen erbringen können (West, 2002). Dementsprechend wichtig wird auch ein gutes interpersonelles Teamklima als wichtig für den Innovationsprozess erachtet (Hülsheger et al., 2009). Hülsheger und Kollegen heben weiterhin hervor, dass auch Führungskräfte mit einer positiven Haltung gegenüber Innovation, die Innovation ihres Teams fördert. Eine solche positive Haltung äußere sich etwa in der Ermutigung und Wertschätzung neuer Ideen sowie deren Umsetzung, beispielsweise durch die öffentliche Anerkennung und Belohnung solcher Ideen (Hülsheger, 2009). Auch eine gut formulierte, unter den Mitarbeiter*innen bekannte Mission scheint ein Mittel für Führungskräfte zu sein, um Innovation im eigenen Unternehmen oder Team zu fördern (West, 2002). 

Auch für ihn bedeute Innovation nicht nur sich etwas Neues auszudenken, betont Henn, und benutzt dafür den Begriff der Erfindungen. Es gelte vielmehr eine solche Erfindung dann auch zu Anwendung zu bringen. Eine „Erfindung“ habe eigentlich nur dann einen Mehrwert und eine Wirkung, wenn sie auch tatsächlich zur Anwendung komme. Aus Henns Beschreibungen wird deutlich, dass auch er die Unterschiede in den Anforderungen der beiden Phasen gut kennt.

Eine „Erfindung“ könne man auch aus einer „genialen, kreativen Isolation“ heraus leisten, die Implementierung einer solchen Idee fordere hingegen zwangsläufig die „Kopplung mit der Realität draußen“. Henn berichtet hier auch von einem Kunden, der ein Innovationszentrum in Auftrag gab. Das Gebäude solle die Mitarbeiter*innen sowohl dazu anregen, frei zu denken, zu experimentieren und „Silodenken zu überwinden“, zugleich jedoch einen Rahmen geben und Grenzen aufzeigen, um nicht aus den Augen zu verlieren, dass jede*r Mitarbeiter*in „auch Teil einer größeren Unternehmung“ sei und „die Ideen auch auf irgendetwas hin […] entwickelt und auch zur Anwendung“ gebracht werden sollen. 

Ein Innovationsprozess, sagt Henn und meint hier wohl vor allem die Kreativitätsphase, „sei in hohem Maße etwas Soziales“. Dabei betont er die Bedeutung der eigenen Stimmung und des Zusammenspiels mit dem Team. „Wenn das Team sich nicht versteht und die Chemie nicht stimmt, dann gehen Kreativität und Innovationsgeist gegen null.“, fasst Henn zusammen. 

Auch Henn macht sich Gedanken, wie er seinen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen Innovationsbereitschaft signalisieren kann. Er meint, Innovationsbereitschaft könne man signalisieren, indem man Ideen, auch wenn sie nicht fertig ausgereift seien, wachsen lasse, unterstütze und nicht mit einem ‚es geht nicht‘ im Keim ersticke. Er glaube, das sei ein Thema der Kultur, des Umgangs miteinander. Man müsse eine „gewisse Naivität […] und auch Scheitern zu lassen“, sodass die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen Selbstsicherheit entwickeln könnten, Sachen auch einfach mal auszuprobieren. 

Und wie sieht es mit der Mission aus? Als Architekten sei es ihre Mission, die Zukunft zu gestalten und „die Leute, die die Gebäude eines Tages nutzen, zu empowern“, die Menschen, die in den Gebäuden zur Schule gehen, wohnen oder arbeiten würden, „zu beflügeln“. Ob die Mission auch bei den Mitarbeitern bekannt sei? Henn lacht – Nein, aber da arbeite man dran.


Teamzusammensetzung

„Wenn das Team sich nicht versteht und die Chemie nicht stimmt, dann gehen Kreativität und Innovationsgeist gegen null.“

Dementsprechend geht es für Henn, der auf einen innovativen Geist im Unternehmen angewiesen ist, bei der Zusammensetzung seiner Teams also um mehr als nur die Strukturierung seiner 350 Mitarbeiter. Wie aber sollte man Teams zusammensetzen und wie müssten solche Teams arbeiten, um effektiv und innovativ zu sein? Diese Fragen beschäftigen auch die organisationspsychologische Forschung seit vielen Jahren. Um die vielen Erkenntnisse der letzten drei Jahrzehnte zu strukturieren, haben Hülsheger et al. (2009) eine umfassende MetaAnalyse durchgeführt. Hülsheger und Kollegen versuchten diejenigen Faktoren zu identifizieren, deren Wirksamkeit auf die Innovationsfähigkeit eines Teams wissenschaftlich gut gestützt ist. 

Ein naheliegender Faktor der Zusammensetzung eines Teams ist dessen longevity, also dessen Langlebigkeit. Diese beschreibt, wie lange die Mitglieder eines Teams bereits miteinander arbeiten. Bei HENN Architects arbeiten Teams projektbezogen zusammen, die Teams werden also für jedes Projekt neu zusammengestellt. Die Team-Langlebigkeit variiert daher stark und kann zwischen 2 Monaten und 5 Jahren betragen. Lange wurde in der psychologischen Forschung vermutet, dass Teams, je länger sie zusammenarbeiten, umso weniger innovativ werden. Diese Annahme konnten Hülsheger und Kollegen mit ihrer Metaanalyse jedoch nicht stützen. Und auch Henn dürfte sich darum weniger sorgen. Denn selbst wenn ein solcher Zusammenhang bestünde, so wären seine Projektteams wohl weniger von solchen Einbußen in der Innovationsfähigkeit betroffen. Im Gegenteil, denn Kreativität und neue Ideen brauche es vor allem am Anfang eines Projekts. „Je weiter es fortschreitet, desto (…) weniger Raum für Kreativität ist auch da“, erläutert Henn. 

„Mitgehangen, mitgefangen“

Zwar seien seine einzelnen Mitarbeiter*innen hochspezialisierte Experten, dennoch seien sie in der Erreichung ihrer Ziele sehr stark voneinander abhängig. „Du kannst nicht ein Haus entwerfen und das sieht cool aus, hat aber keine Fenster“. Diese Abhängigkeit von einander um das gemeinsame Ziel, ein fertiges Haus, zu erreichen nennt man goal-interdependence. Hülsheger konnte feststellen, dass sich goal-interdependence positiv auf Innovation auswirkt, da sie dafür in einen intensiven Austausch von Ideen treten und miteinander kommunizieren müssen.

Effektive Kommunikation sowohl innerhalb des Teams wie auch die Kommunikation nach außen sind entscheidend für die Innovationsfähigkeit von Teams. Das konnten Hülsheger et al. (2009) in ihrer Metaanalyse bestätigen. Besonders in komplexen Angelegenheiten sei regelmäßige und hochqualitative Kommunikation unersetzlich, um Informationen auszutauschen und neue Ideen zu generieren (Hülsheger et al., 2009). Ähnlich sieht das auch Henn – Kommunikation bedeute für ihn „nicht nur Informationen, die man austauscht, sondern auch eine Wertsteigerung“.

Diversity und Herausforderungen

Als weiterer Einflussfaktor bei Innovationsfähigkeit von Teams ist diversity in aller Munde. Wissenschaftlich unterschieden wird hierbei zwischen job-relevant diversity und background diversity. Job-relevant diversity bezieht sich auf jene Unterschiede zwischen Teammitgliedern, denen ein direkter Einfluss auf die Erfüllung der Aufgabe zugeschrieben wird. Das können etwa fachspezifische Erfahrung, Expertise, Rolle im Unternehmen, etc. sein (Hülsheger et al., 2009). Henns Teams zeichnen sich durch eine große job-relevant diversity aus – seine Mitarbeiter*innn sind Spezialist*innen in ihrem Fach und weisen sich durch spezifische Expertise aus. „Bei der Architektur gibt es den einen Universalisten nicht mehr“, kommentiert Henn. Hülsheger konnte feststellen, dass sich job-relevant diversity positiv auf Innovation auswirkt, auch wenn dieser Zusammenhang nur schwach zu sein scheint. 

„Man kann nicht auf seiner Perspektive beharren, sondern muss sich dem anderen annähern.“

Von background diversity ist hingegen die Rede, wenn sich Mitarbeiter*innen in Attributen unterscheiden, die nicht direkt mit den Aufgaben zusammenhängen. Darunter fallen zum Beispiel Alter, die kulturelle Herkunft oder die Religion der Mitarbeiter. HENN Architects beschäftigt über 350 Mitarbeiter, dementsprechend groß ist auch das Potential für background diversity. Da seien „Mitarbeiter*innen schon seit 30-40 Jahren mit im Büro“ und gleichzeitig habe man “ganz junge Kolleginnen und Kollegen, die gerade von der Uni abgehen“, so Henn. Außerdem seien mit Menschen aus über 30 verschiedenen Nationalitäten auch ganz unterschiedliche Kulturen unter einem Dach vertreten. Es werde in unterschiedlichen kulturellen Kontexten gearbeitet, zum Beispiel in Deutschland, Saudi-Arabien und China. Hülsheger und Kollegen (2009) vermuteten, dass diese background diversity der vertrauensvollen Kommunikation eher im Weg stehe und so Innovation behindere. Diese Beziehung konnten sie aber nicht generalisierbar nachweisen. Henn macht mit der Diversität in seinem Team trotzdem überwiegend gute Erfahrungen. „Man kann nicht auf seiner Perspektive beharren, sondern muss sich dem anderen annähern.“, betont Henn. Er spricht hier auch vom „6-Augen-Prinzip“: „deine Perspektive, meine Perspektive, und dann müssen wir beide aber eine Perspektive einnehmen, die weder meine noch deine ist, sondern irgendwas dazwischen – und das ist jedes Mal für einen selber eine Herausforderung. Man muss sich ein Bisschen in einen ungewisseren Raum begeben, man muss sich selbst neu definieren, neu erfinden und das macht erfinderisch und hält einen davon ab, immer einfach so Dienst nach Vorschrift zu machen und immer nur dasselbe zu reproduzieren.“

Martin Henn in Mexico

In einem großen und diversen Unternehmen wie HENN Architects bleiben dann auch Konflikte nicht aus. Aus wissenschaftlicher Sicht unterscheiden Hülsheger und Kollegen dabei zwei Formen: Der sogenannte task conflict bezieht sich auf die Aufgabe selbst und regt zur Diskussion und zum Informationsaustausch an (Hülsheger et al., 2009). Der relationship conflict hingegen behandelt persönliche Auseinandersetzungen zwischen den Mitarbeiter*innen. Er ruft negative Emotionen wie Angst, Wut und Frustration hervor, die der Aufgabe und dem effektiven Ideenaustausch im Weg stehen. Allerdings konnte kein generalisierbarer Zusammenhang der beiden Konfliktarten mit Innovation nachgewiesen werden (Hülsheger et al., 2009). Henn betont dennoch das positive Potential konstruktiver Konflikte: „(…) Es ist gut, wenn starke Positionen da sind und auch Wiedersprüche aufgelöst werden müssen.“ Am Ende komme dabei meist ein viel stärkeres Ergebnis bei raus. 

Bei diesen letzten Fragen, werden für uns nochmal einige Unterschiede zwischen Forschung und Praxis deutlich. Und doch haben wir am Ende unseres Gesprächs den Eindruck, dass viele der Aspekte, von denen uns Henn aus seinem Arbeitsalltag erzählt, an die Erkenntnisse der Forschung anknüpfen, diese aufgreifen und auf die individuelle Situation angepasst zur Anwendung bringen.

Referenzen:

Hülsheger, U. R., Anderson, N., & Salgado, J. F. (2009). Team-level predictors of innovation at work: A  comprehensive meta-analysis spanning three decades of research. Journal of Applied Psychology, 94 (5), 1128-1145. doi:10.1037/a0015978

West, M. A. (2002). Sparkling Fountains or Stagnant Ponds: An Integrative Model of Creativity and Innovation  Implementation in Work Groups. Applied Psychology: An International Review, 51 (3), 355–424. doi:

10.1111/1464-0597.00951

Autor: s7228601 | 17. April 2020 | 15:14 Uhr

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