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Lernen durch Design

Visual Thinking

Visual Thinking

Der Artikel beschreibt auf Grundlage des Buches The Back oft the Napkin – Solving Problems and Selling Ideas with Pictures von Dan Roam die Möglichkeiten und Vorteile visuellen Denkens in betriebswirtschaftlichen Kontexten. Es zeigt auf, dass alle Probleme in Problemkategorien eingeordnet werden können und dass wir intuitive Fähigkeiten unseres visuellen Systems sowohl auf das Wahrnehmen und Sehen dieser Problemlagen, als auch auf das Imaginieren von Problemlösungen applizieren können. Für die visuelle Präsentation von Lösungsvorschlägen schlägt Roam in einer Tabelle für jede Problemkategorie und für ein breites Spektrum möglicher Präsentationsansätze einen grafischen Grundtypus vor, der je nach Lösungsaussage und Erwartungen der Zuhörer variiert und weiter elaboriert werden kann..

1.    Definition Visual Thinking

Ausgehend von der Überlegung, was Business in seinen Grundzügen ist, nämlich das Lösen von Problemen, wirft Roam die Frage auf, ob es einen Weg gibt, dies noch schneller, überzeugender und „mit mehr Spaß“ zu tun. Er fragt außerdem, ob es Möglichkeiten gibt, erarbeitete Lösungen einfacher zu vermitteln. Seine Antwort heißt Visuelles Denken. Es ist für ihn eine Problemlösungsstrategie, bei der wir unsere natürliche Fähigkeit nutzen, sowohl mit unseren Augen, als auch mit unserem inneren Auge zu sehen

1. um Ideen zu entdecken, die ansonsten unsichtbar wären,

2. um diese Ideen schnell und intuitiv zu entwickeln,

3. um danach diese Ideen anderen in einer überzeugenden Art und Weise mitzuteilen.

Die Vorteile dieser Strategie beschreibt er folgendermaßen:

–          Wir können so die Bilder weitergeben, die zwangsläufig beim Lösen von Problemen in unserem Kopf entstehen.

–          Es ist kein Rückgriff auf Technik nötig – die Strategie ist unmittelbar und einfach.

–          Handgezeichnete Bilder können anderen in einer offeneren Atmosphäre mitgeteilt werden, sie laden stärker zu Kommentaren, Diskussionen und Weiterentwicklungen ein.

–          Sie sind leicht veränderbar.

–          Vor den Zuhörern step-by-step entwickelte Bilder sind leichter verständlich als fertige IT-Lösungen.

–          Computer haben vorgefertigte built-in-tools, die oft nicht genau das aussagen, was eigentlich gemeint ist.

An mehreren Stellen betont er, dass mit diesem von ihm entwickelten System aus seiner Sicht wirklich jedes Problem mit einer Grundausstattung an zeichnerischen Mustern und auch zeichnerischen Fähigkeiten der Anwender gelöst werden kann.

2.     Problemkategorisierung

Roam untergliedert alle auftretenden und zu lösenden Probleme in sechs Kategorien: die Wer/Was-Probleme, die Wieviel-Probleme, Wann-Probleme, Wo-Probleme, Wie-Probleme und Warum-Probleme. Bei den Wer/Was-Problemen müssen zu deren Lösung involvierte Personen oder Objekte in den Blick genommen und analysiert werden. Bei Wieviel-Problemen geht es um spezifische Mengen die zur Lösung führen, bei Wann-Problemen um temporäre, bei Wo-Problemen um räumliche Aspekte. Bei Wie-Problemen müssen sich die Beteiligten mit prozessualen Aufgaben auseinandersetzen und bei Warum-Fragen mit kausalen. Diese Grundkategorien aller zu lösenden Probleme werden in Roam´s weiteren Ausführungen von Bedeutung sein, wenn es sowohl um das Wahrnehmen und Sehen von Problemen sowie um das Imaginieren von Lösungen geht.

3.     Vier Schritte zum Visuellen Denken

3.1                       Wahrnehmen

Roam erläutert im Folgenden, wie unsere intuitive Herangehensweise an vielfältige alltägliche Problemlösungen auch auf Business-Probleme angewendet werden kann. Er gliedert diesen Prozess in vier Schritte. Der erste Schritt ist das wahrnehmen, das heißt, das ungeordnete Sammeln und Scannen von Informationen aus unserer Umwelt und das Erreichen einer vagen Einschätzung ihrer Relevanz für eine Problemlösung. Dabei sind vier Aspekte wichtig. Zunächst müssen alle Informationen gesammelt werden, die verfügbar sind, um von Beginn an eine repräsentative Auswahl an Einflussfaktoren auf das Ergebnis zu haben. Danach ist es wichtig, all diese Informationen auch sichtbar zu machen, d. h. sie müssen im Problemlösungsprozess visuell verfügbar sein. Informationen die abgeheftet in Ordnern belassen werden, sind beispielsweise für geschäftliche Problemlösungsprozesse irrelevant.

Dann muss damit begonnen werden, die ausliegenden Daten und Informationen nach Grundkoordinaten zu ordnen. Grundkoordinaten können hergeleitet werden aus den im Punkt 2 genannten Fragestellungen zur Kategorisierung der Problemcluster. An dieser Stelle wird deutlich, dass das von Roam entwickelte System sehr stark betriebswirtschaftliche Fragestellungen im Blick hat. Bei sozialen, politischen oder kulturellen Entscheidungsprozessen dürfte es oft schwer fallen, für zu lösende Probleme eindeutig die von Roam entwickelten Koordinaten aufzuzeigen.

Nach der Entdeckung und Erstellung der Grundkoordinaten des Problems muss visuelle Selektion stattfinden. Daten und Informationen, die irrrelevant für die Problemlösung sind müssen aussortiert werden. Aus Roam´s Sicht sind dabei sogenannte präkognitive Attribute wichtig. Dies sind Gestaltmerkmale der gesammelten Informationen wie Nähe oder Abstand zueinander, Farbe, Größe, Orientierung, Ausrichtung, Form und Schattierung. Sind diese Merkmale bei Informationen gleich oder ähnlich, ordnet unser visuelles System präkognitiv diese Daten einander zu und betrachtet andere als irrelevant. Hierin könnte allerdings ein weiterer kritischer Punkt von Roam´s Ausführungen bestehen. Die Selektion von Daten in einem betriebswirtschaftlichen Entscheidungsprozess sollte nämlich sowohl anhand inhaltlicher Fakten und nicht nach formalen Gestaltkriterien, als auch bewusst und nicht präkognitiv vorgenommen werden.

3.2           Sehen

Sehen ist ein aktiverer Prozess als Wahrnehmen. Dabei werden die verbliebenen Informationen genauer betrachtet und versucht, kontextuelle Muster zu erkennen. Es werden quasi visuelle Informations-Bruchstücke zusammengeführt um das zu lösende Problem zu erkennen. Unser visuelles System beantwortet für die Orientierung in unserer Umwelt intuitiv genau jene Fragen, die Roam zur Kategorisierung der Problemcluster benutzt: Aus den Fragen Wer/Was, Wie viel, Wo und Wann beantwortet es die Frage Wie und leitet daraus das Warum ab. Diese intuitive visuelle Herangehensweise kann bewusst auch für das Definieren von Fragestellungen genutzt werden, um damit einen Ausgangspunkt für Problemlösungsprozesse zu haben.

3.3           Imaginieren

Imaginieren ist die Übersetzung der konkreten Informationen, Muster und Koordinaten, die wir in der realen Welt gesehen haben, in abstrakte Bilder vor unserem inneren Auge, so dass wir sie kognitiv bearbeiten können. Um diese Fähigkeit des Sehens mit dem inneren Auge zu trainieren, hat Roam ein Übungsprogramm entwickelt – SQVID. Es aktiviert einerseits unser inneres Auge, um volle Vorstellungskraft für ein imaginiertes Bild entwickeln zu können, und andererseits trainiert es uns, beim Imaginieren von Bildern für Problemlösungen die visuellen Erwartungen und Bedürfnisse unserer Zuhörer antizipieren zu können. Das Kürzel SQVID ergibt sich aus den Anfangsbuchstaben der zu visualisierenden Eigenschaften des Präsentationsgegenstandes. Roam möchte mit dem Übungsprogramm dazu anregen, vor der Präsentation genau zu überlegen, welche visuellen Botschaften wir übermitteln wollen, d.h. welche Bilder geben unsere Informationen am besten wider und welche Art von Bildern könnten die Zuhörer am ehesten erwarten und genau auf ihre Sehgewohnheiten zugeschnitten sein. Soll das Bild eher simpel (S) oder eher elaboriert sein? Soll es eher die Qualität (Q) oder die Quantität des Problems wiedergeben? Soll es mehr für das Ziel (vision) oder den Weg zum Ziel der Problemlösung (execution) stehen? Sollen eher individuelle Eigenschaften des Präsentationsgegenstandes (individual attributes) dargestellt werden, oder sollen seine Eigenschaften im Vergleich zu anderen Lösung herausgearbeitet werden. Sollen den Zuhörern eher Veränderungen (changes) nahegebracht werden, die sich durch die Problemlösung ergeben, oder der statische Zustand der Lösung. Entsprechend Roam’s Idee besteht das Übungsprogramm nun in zwei Aufgaben: erstens soll für beide Pole aller fünf Gegensatzpaare eine Visualisierungsmöglichkeit gefunden werden, zweitens soll überlegt werden, welche der Visualisierungsmöglichkeiten am ehesten den Erwartungen und ‚Seh’-gewohnheiten der Teilnehmenden entspricht. Damit soll sowohl das eigene Imaginationsrepertoir trainiert werden als auch die Fähigkeit, sich auf sein Auditorium einzustellen.

3.4           Präsentieren

Wahrnehmen, Sehen und Imaginieren müssen keine linear aufeinander folgenden Aktivitäten sein. Sie können, wenn nötig, wie ein Kreislauf immer wieder von vorn begonnen werden. Die Phase des Präsentierens jedoch kann erst begonnen werden, wenn die drei vorgelagerten Aktivitäten abgeschlossen sind. „ … only if we´ve already seen, looked and imagined well.“ (Roam, S.129)

Als Visualisierungshilfe ordnet der Autor allen sechs Problemkategorisierungen (siehe Punkt 2), bzw. den sechs Arten unserer Wahrnehmung je genau eine grafische Möglichkeit des Präsentierens zu. Es muss also vor der Präsentation geklärt sein, um welchen Problemtyp es sich handelt. Für Wer/Was-Probleme, bei denen es um qualitative Darstellungen geht, schlägt Roam Portraits oder Objektskizzen als grafischen Grundtypus der Visualisierung vor, die sich an der äußeren Erscheinung des darzustellenden Objektes oder Subjektes orientieren und im Verlauf der Präsentation vor den Augen der Zuhörer und Zuschauer step-by-step vervollständigt werden. Um dabei sowohl die Hauptaussage des Vortrages als auch die Erwartungen des Auditoriums in die Visualisierung mit einzubeziehen, soll bei der letztendlichen Entscheidung über die äußere Form der Darstellung das SQVID-Modell angewendet werden (siehe 3.3). Der oder die Vortragende muss sich also im Vorfeld die Frage beantworten, ob für die Darstellung des Objektes oder Subjektes eher eine simple oder elaborierte, eine quantitative oder qualitative, eine ziel- oder prozessorientierte, eine individuelle oder vergleichende, oder eine statische oder auf Veränderung des Darstellungsgegenstandes abzielende Visualisierung günstig ist.

Für quantitative Wieviel-Probleme erweisen sich seiner Meinung nach Tabellen oder grafische Darstellungen als günstig, deren Grundstruktur Ausgangspunkt der Präsentation sein müsse und im Verlauf mit Werten und Grafen gefüllt wird. Auch hier müssen vor der Entscheidung über das endgültige Aussehen der Präsentation die Überlegungen des SQVID-Modells angestellt werden.

Wo-Probleme befassen sich mit einer räumlichen Darstellung und sollten daher eine skizzierte Landkarte zur Grundlage haben, die während der Präsentation mit landkartentypischen Objekten gefüllt werden kann. Wann-Probleme sollten mit Zeitstrahlen, Wie-Probleme mit Flussdiagrammen und Warum-Probleme mit variablen multiplen Skizzen dargestellt werden, die entsprechend der Problematik gegebenenfalls alle der vorher genannten Darstellungen einbeziehen. Selbstverständlich soll laut Roam auch bei den drei letztgenannten Problemtypen deren endgültige äußere Form durch die algorithmische Anwendung des SQVID-Modells festgelegt und erst während der Präsentation  vervollständigt werden.

4.    Kritische Anmerkung

Wie schon der Untertitel von Dan Roams Buch Visual Thinking. Solving Problems and Selling Ideas with Pictures  vermuten lässt, hat der Autor die Präsentationsstrategie des visuellen Denkens vorwiegend für Manager entwickelt, die aus dem produzierenden, Dienstleistungs-  oder Design-Gewerbe kommen, wo wirtschaftlicher Erfolg maßgeblich davon abhängt, inwieweit es einem Unternehmen gelingt Produkt-, Dienstleistungs- oder Designprobleme zu lösen und danach zu verkaufen. Roams Algorithmus hierzu ist demzufolge: discover-develop-share/sell.

Für diesen gewerblichen Kontext ist es durchaus vorstellbar, dass nahezu alle anstehenden Probleme in die von Roam vorstrukturierten Kategorien eingeteilt, und danach entsprechend der von ihm entwickelten Überlegungs- und Entscheidungsroutine visualisiert werden können. Allerdings ist Roams Algorithmus sehr schematisch und lässt bei seiner Anwendung kaum Raum für eigene kreative Präsentationsideen der Vortragenden.

Jenseits der genannten wirtschaftlichen Bereiche ist Roams Modell jedoch kaum einsetzbar. Im Bereich von sozialem oder kulturellem Management und bei politischen Entscheidungen, wo Problemlösungsprozesse und deren Präsentation ebenso häufig und von hoher Relevanz sind, können weder Probleme so eindeutig in die vorgegebenen Kategorien eingeteilt werden, noch in der Phase des Wahrnehmens die entsprechenden Grundkoordinaten für das Sammeln der relevanten Informationen gefunden werden. Soziale, kulturelle und politische Entscheidungsprozesse entziehen sich in den meisten Fällen aufgrund ihrer Komplexität, Individualität und ihres Bezogenseins auf soziale Dynamiken einer Einordnung in zwei- oder dreidimensionale Koordinatensysteme und eine sechsteilige Grundstruktur für Problemtypen. Daher hat der Dan Roam mit seiner Präsentationsstrategie des visuellen Denkens zwar wichtige Grundideen betriebswirtschaftliche Problemlösungsprozesse geliefert, aber sein Anspruch, dass mit seinem Algorithmus alle Problemtypen visuell dargestellt werden können, muss kritisch hinterfragt werden.

Autor: angelaj | 9. Juni 2010 | 8:06 Uhr

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Ein Kommentar zu “Visual Thinking”

  1. Thomas Braun

    Gratulation zum Artikel. Napkin ist auf einer interessanten Spur, die er dann aber leider zu wenig lang verfolgt und seinerseits dann mit einer Quintessenz zu früh beendet.

    Die Morphologie ist seit Goethe auch auf dieser Spur – nur wird hier auf die gesamtheitliche Wahrnehmung abgestützt und auf ein N-Dimensionalität, also nicht nur auf die W-Fragen oder andere fast abschliessende Kategorien.

    Die Darstellungen sind dann auch wieder möglichst visuell – denn das menschliche Hirn kann bildliche Darstellungen sehr schnell abarbeiten.

    Wenn Sie mehr Sie mehr wissen wollen, unter http://www.methodik.net finden sich weitere Informationen und auch Web-Tools.

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