NÄHE SCHAFFT /DISTANZ/ SCHAFFT NÄHE

EINE VERMITTLUNGSSITUATION VON NATHALIE JÄNISCH UND JOHANNA ARNDT


  1. Verortung

„Jede Form ästhetischer Erfahrungsarbeit […] [ist] biografisch verankert, es [gibt] keine ernstzunehmende ästhetische Praxis ohne biografische Anteile.“ (Blohm 2002, zit. in.: Peez 2005). Diesem Grundsatz folgend, bezieht sich unsere VMS auf Fragmente von Biografien in Verbindung mit eigener künstlerischen Praxis. Ausgehend von Porträtfotografien mit persönlichem Bezug entwickeln sich Gesprächs- und Gestaltungsanlässe.

Ein künstlerischer Prozess, eine künstlerische Suche kann von Fotografien ausgehen, welche „einen vergangenen Augenblick fest[halten] und […] als Repräsentation von Erinnerungen [gelten]“ (Grütjen 2007, S. 58).   Dieser Aspekt ist unser Ansatzpunkt, der sich in Form einer Fotowand visualisiert.

Diese Ausdrucksform nutzen auch Künstler*innen für die Präsentation ihrer Werke. Ein Beispiel ist die Installation „Monuments – Les Enfants de Dijon“ (1986) von Christian Boltanski. In dieser Arbeit werden schwarz-weiß Fotografien von jugendlichen Schüler*innen der 1970er Jahre installiert und mit Lämpchen erleuchtet (vgl. Grütjen 2007, S. 58). Unsere Fotowand besteht aus ausgedruckten Porträtfotografien (A5), welche an einer Fensterfront befestigt werden. Jede*r Studierende hat einen persönlichen Bezug zu seinen*ihren zwei bis fünf mitgebrachten Bildern. Diese Individualität wird jedoch durch die Menge an Fotografien zunächst aufgehoben und verallgemeinert, so wie es vergleichsweise auch in der Arbeit von Boltanski geschieht. Die Bilder werden kommentiert und geben sich so den Assoziationen des*der Betrachter*in hin. Es entwickelt sich eine große Gedankenfläche, die aus Bildern und Kommentaren besteht. Hier lässt sich die Methode der Kartierung im Kunstkontext anbringen. Die Kartierung beschreibt „Vorgehensweisen des Beobachtens, Sammelns und Aufzeichnens, sowie das dabei entstehende Beziehungsgefüge zwischen dem Beobachter und seinen Beobachtungen“ (Heil 2007). Mediale Formen der Kartierung sind z.B. Fotos, Filme, Installationen, Texte, Zeichnungen, etc. (vgl. Heil 2007).

Der Bezug zur eigenen Biografie, der durch die Fotografien geschaffen wurde, soll nun bildnerisch be- und verarbeitet werden. Als Möglichkeiten der Bearbeitung können die Strategien der Spurensicherung, Verfremdung oder auch des seriellen Arbeitens herangezogen werden (vgl. Peez 2005). In unserer VMS ist eine gestalterische Auseinandersetzung in der Fläche, mittels eines grafischen Dialogs, der nächste Schritt. Dieser bezieht sich auf die Kommentare der Bilder.

Anschließend werden die Grafiken überlagert, gerahmt und in einer Zwischenausstellung präsentiert. Durch den kleinen Raum sind netzartig Stricke gespannt, an die die Arbeiten gehängt werden. Durch diese Präsentation der gezeichneten Kommentare lässt sich erneut eine Form der Kartierung finden. Zudem ist der Raum abgedunkelt, Lichtimpulse werden durch die Studierenden mithilfe von Taschenlampen gegeben. Die dadurch erzeugte, atmosphärische Stimmung im Raum vereint sich mit den Zeichnungen zu einer Art Gesamtkunstwerk. Durch das Licht werden die Arbeiten inszeniert, „Licht kuratiert und inszeniert.“ (Max Hollein, zit. in: Zumtobel 2016)

In unserer VMS collagieren wir die grafischen Blätter anschließend mit selbsthergestellten Aufklebern, welche durch die Transfertechnik entstehen. Dabei wird eine vom Laserdrucker entstandene Kopie auf durchsichtiges Tape übertragen und mit Wasser abgerieben. Anschließend werden die Aufkleber mit den Grafiken kombiniert und letztmalig präsentiert.

Auch in dieser Präsentation kommt dem Licht eine besondere Rolle zu, da es die Wirkung der Transparenz unterstreicht. In diesem Fall handelt es sich aber nicht um künstliches, sondern um natürliches (Tages-) Licht, da die collagierten Arbeiten am Fenster gegen das Licht angebracht werden. Die vielfältige künstlerische Überarbeitung der ursprünglichen Fotografien schafft eine Distanz zum persönlichen Inhalt. Die Orientierung an der Biografie hat das Ziel biografische Strömungen zu erkennen und zu beeinflussen (vgl. Peez 2005), sodass die Porträts zu Projektionsflächen für die Assoziationen des Betrachters werden können. (vgl. Grütjen 2007, S. 58) „Biografiearbeit ist als eine prozesshafte, lebenslange Aufschichtung und Verschiebung von […] ästhetischen Erfahrungen zu verstehen.“ (Peez 2005)

2. Konzept

Vor der VMS wird die Hausaufgabe erteilt, dass die Studierenden zwei bis fünf Fotos von Personen aus ihrem Umfeld (z.B. Freunde, Familie, nahestehende Personen) maximal auf A5 ausgedruckt mitbringen sollen. Es ist wichtig, dass es Personen aus dem näheren Umfeld sind, damit es einen realen und greifbaren Bezug gibt. Bilder aus Zeitschrift etc. werden ausgeschlossen, da diese zu beliebig sind und kein persönlicher Bezug zu den abgebildeten Menschen besteht. Diese Fotos sind das Ausgangsmaterial und der zentrale Gestaltungsanlass für die gesamte VMS.

/EINSTIEG/

Zu Beginn finden wir uns an der Fensterfront des Raumes zusammen. Hier bekommen die Studierenden einen Aufgabenzettel. Diese sind so gestaltet, dass immer eine neue Aufgabe aufgefaltet werden kann, sobald eine vorherige beendet wurde. Für diese Form entschieden wir uns, da es dem Arbeitsprozess eine gewisse Struktur verleiht und der eigene Prozess und Arbeitsstand anschaulich mitverfolgt werden kann.

Die erste Aufgabe der VMS bestand darin, eine Fotowand aus den mitgebrachten Bildern gestalten. Der eigentliche Fokus liegt nun aber auf dem Kommentieren der Bilder, das auf dem Assoziieren beim Betrachten der Bilder der Anderen gründet. Hierfür werden verschiedenfarbige Post-Its verteilt, wobei rote Post-Its negative Ausdrücke und Assoziationen und grüne Post-Its positive Ausdrücke symbolisieren. Zusätzlich gibt es gelbe Zettel, die entweder eine neutrale Haltung repräsentieren oder dem Kommentieren der eigenen Bilder dienen. Damit soll sichergestellt werden, dass jedes Foto mindestens einmal kommentiert wird. Insgesamt gilt für alle Post-Its, dass pro Zettel ein Schlagwort hinsichtlich des sozialen und/ oder emotionalen Ausdrucks gefunden werden soll, beispielsweise Begriffe wie: Zuneigung, Liebe, Angst, Zerrissenheit, Stärke, etc. Für diese erste Aufgabe sind fünf Minuten als kurzer Einstieg geplant. Anschließend wird der Ergebnisstand gesichert, indem die Fotos mit den meisten Kommentaren besprochen und Gegensätze betrachtet werden. Dieser Einstieg bildet den Gestaltungsanlass für das anschließende grafische Arbeiten. Zudem werden die Fotos im weiteren Verlauf immer wieder thematisiert und bearbeitet.

// ANWENDUNG I

Die erste Anwendungsaufgabe bezieht sich auf die grafische Auseinandersetzung mit den Fotos. In Zweiergruppen wählen die Studierenden zu jedem Foto ein Schlagwort aus, welches in eine grafische Formsprache übersetzt werden soll. Dies soll ungegenständlich und abstrahiert erfolgen. Dabei kann ebenso das gegenteilige Schlagwort gefunden und umgesetzt werden. In einem gestalterischen Dialog fertigt jede*r Teilnehmer*in mindestens zwei grafische Blätter an. Die Studierenden führen diese Aufgabe ohne zu sprechen durch, sodass eine Kommunikation nur über die grafische Formsprache stattfindet. Grafisches Werkzeug wie Tusche, Kohle, Fineliner und Bleistift stehen ihnen zur Verfügung. Gearbeitet wird auf Transparentpapier. Die Schwierigkeit in dieser Aufgabe liegt darin, dass spontan auf die Linienführung des*r Anderen reagiert werden muss. Die Studierenden lernen dabei, eigene grafische Vorstellungen gemeinsam mit ihren Kommilitonen*innen zeichnerisch zu kombinieren. Nach dieser 40-minütigen Arbeitszeit folgt die nächste Anwendungsaufgabe.

// Anwendung II

In der zweiten Anwendungsaufgabe sollen alle Studierenden jeweils zwei grafische Blätter auswählen, die überlagert eine spannende Wirkung erzeugen. Die Transparenz des Papiers ermöglicht es, dass sich die Gestaltungsmittel Linie und Punkt nun zu einer Struktur vereinen.  Anschließend werden Butterbrottüten verteilt. Jede*r Studierende sucht sich in den überlagerten Blättern einen Ausschnitt, dessen Komposition als besonders interessant empfunden wird. Dieser Ausschnitt wird in die Tüte geschnitten, wobei Format, Größe und Platzierung frei wählbar sind. Butterbrottüten werden zum Arbeitsmaterial, da sie einerseits günstig zu erwerben sind und sie andererseits auf unkomplizierte Weise mehrere Blätter in einer Art Mappe vereinen. Das Herausschneiden eines Ausschnitts rahmt zu dem die Arbeiten und präsentiert die Werke angemessen. Als Arbeitszeit sind zehn Minuten vorgesehen.

// Präsentation I

Vor unserer VMS haben wir den zusätzlichen, kleineren Raum so vorbereitet, dass in die Ausstellungsphase ein reibungsloser Übergang erfolgt. Zuvor spannten wir einige Fäden durch den Raum, welche eine netzartige Form ergeben. In dieses Netz werden die grafischen Blätter nun aufgehangen. Die Besonderheit der Präsentation ist der komplett dunkle Raum. Als Lichtquellen dienen kleine Taschenlampen. Damit beleuchten wir die Arbeiten, wodurch eine atmosphärische Stimmung erzeugt wird. Durch den direkten Lichteinfall werden beide Schichten der Überlagerung besser sichtbar. Zusätzlich fertigt jede*r Studierenden kleine Titelschilder an. Auf die Innenseite wird das Ausgangsschlagwort geschrieben. Dies ermöglicht ihnen eine freie Entscheidung, ob man das Ausgangschlagwort wissen möchte oder ob man unbeeinflusst bleibt und eigene Assoziationen zulässt. Es schließt sich das erste kurze Auswertungsgespräch an. Thematisiert werden Aspekte wie die Wirkung der Gestaltungsmittel, die Wahl des Ausschnittes, die Qualität der Ergebnisse, die Betrachtung von erzeugten Strukturen, Feedback zu den bisherigen Aufgaben, sowie Vorschläge zur Weiterarbeit. Danach folgt eine Pause.

/// Anwendung III

In der dritten Anwendungsphase thematisieren wir die Collage. Die mitgebrachten Fotos wurden in der Pause mittels eines Laserdruckers kopiert. Die Studierenden lernen in dieser Phase eine neue Technik kennen – die Transfertechnik. Dabei werden die kopierten Fotos zunächst mit durchsichtigem Paketklebeband vorderseitig beklebt. Wichtig dabei ist das vollständige Bekleben der farbigen Seite. Nun taucht man das Foto in klares Wasser und lässt es für wenige Minuten darin liegen. Nachdem das Papier vollständig nass ist, kann das Foto wieder entnommen werden. Wichtig ist nun, dass das Papier komplett mit dem Finger entfernt wird. Dabei rubbelt man leicht über das Foto. Die Lasertinte bleibt bei dieser Technik am Klebeband haften, sodass ein Aufkleber entsteht. Die Studierenden wenden dieses Verfahren mit mehreren Fotografien an. Die zuvor angefertigten grafischen Blätter dienen nun zum collagieren des Aufklebers. Wahlweise können die Komposition der grafischen Blätter sowie der Bildausschnitt des Rahmens verändert werden. Es war uns nur möglich, die Fotografien in schwarz- weiß zu kopieren, was jedoch begünstigt, dass Aufkleber und Grafik ausgeglichen kombiniert werden. Ziel ist, dass alle Studierenden eine Collage anfertigen. Alle dafür benötigten Materialien stehen den Teilnehmer*innen zur Verfügung. Eine knappe Anleitung der Transfertechnik ermöglicht den Studierenden eine zusätzliche Orientierung an der Schrittfolge. Die neue Methode soll die Kommilitonen motivieren und zum erneuten Bearbeiten der grafischen Blätter anregen. Ziel ist es, an den grafischen Blättern weiterzuarbeiten und dabei experimentell mit der Methode umzugehen. Die persönlichen Fotos werden in dieser Phase bewusst aufgegriffen, sodass eine Verbindung zum Anfang besteht. Für diesen Arbeitsprozess stehen den Kommilitonen 40 Minuten zur Verfügung.

// Präsentation II

Zum Schluss der VMS erfolgt wieder eine Präsentation der endgültigen Arbeitsergebnisse. Die Studierenden sollen ein eigenes Ausstellungskonzept mit einer eigenen Ordnung entwickeln. Dafür steht ihnen der kleine Raum mit dem bereits vorgespannten Netz zur Verfügung, welches natürlich verändert und erweitert werden darf. Damit soll sich eine Verbindung zum Beginn der VMS herstellen, wo es um das Kommentieren hinsichtlich emotionaler Ausdrücke und sozialer Beziehungen ging. Das Ausstellen der Bilder in einem solchen Netz steht nun also symbolisch für die sich ergebenden zwischenmenschliche Beziehungen und schafft die Verbinndung zur Methode des Kartierens. In der durchgeführten VMS ergibt sich eine Änderung für diesen Teil des ursprünglichen Konzepts. Der Präsentationsort wird vom kleinen Raum aus geöffnet, sodass die Werke letztendlich an einer Fensterfront präsentiert werden. Das sich anschließende Auswertungsgespräch bezieht sich auf Aspekte wie den Ausstellungsort, die veränderte Bildwirkung durch die Sticker, künstlerische Strategien, die Qualität der Ergebnisse, sowie das Kartieren und die Bildorientierung. Dieser Abschnitt umfasst 20 Minuten. Es folgt der Abschluss der VMS mit dem Feedback der Studierenden.

3. Prozess und Ergebnisse

Das Ergebnis der ersten Aufgabe ist, dass vielfältige Assoziationen gefunden werden, wenngleich nicht jedes Foto einen Kommentar erhält. Die Fotowand selbst ist eine Sammlung von Erinnerung unterschiedlicher Personen. Das Kommentieren dieser führt zu der Erkenntnis, dass sich die Einteilung in positiv und negativ als begrenzt und darum schwierig gestaltet. Diese erste Aufgabe lässt deshalb offene Fragen und Unklarheit über das Weiterarbeiten zurück.

Mehr Klarheit wird in der ersten Anwendungsaufgabe gegeben. Als Ergebnis stehen am Ende zwei grafische Blätter pro Teilnehmer*in, die in einem grafischen Dialog entstanden. Im Prozess ergibt sich die Umsetzung einer neuen Methode, die unterschiedlich interpretiert und angewendet wird. Für uns ergibt sich die Erkenntnis, dass die Gruppen eine sehr verschiedene Arbeitsweise ausführen, was die Intensität des grafischen Dialogs betrifft. Dieser wird eher nebeneinander als miteinander geführt. Eine weitere Erkenntnis ist die Schwierigkeit der Passung zwischen den Schlagwörtern und deren Umsetzung in eine grafische Form. Begriffe wie „cool“ ö.ä. sind nur schwer grafisch fassbar.

Das Ergebnis der nächsten Aufgabe ist ein Ausschnitt in einer Butterbrottüte als Rahmen. Daraus lässt sich erkennen, dass dieser den Blick des Betrachters lenkt und somit ein Schwerpunkt innerhalb der Arbeit gesetzt wird. Im Prozess werden zwei voneinander getrennte grafische Blätter aus Linien und Punkten erarbeitet. Die Überlagerung kombiniert sie jedoch zu einer Struktur, womit ein weiteres grafisches Mittel erzeugt wird. Eine gestalterische Erkenntnis bezieht sich auf das Papier des Tütenmaterials, welches sich um den Ausschnitt wie ein leichter Schleier auf die grafischen Blätter legt und deren Sichtbarkeit sanft erhält.

Anschließend werden die Arbeiten in einer ersten Ausstellung präsentiert. Der Raum ist weitestgehend dunkel, damit der Fokus auf den Werken liegt, die grafischen Strukturen bestmöglich herauskommen und somit das Potenzial des Transparentpapiers ausgeschöpft wird. Es ergeben sich Erkenntnisse zum Beleuchten der Ausstellung. Einerseits entsteht eine flüchtige Wirkung, durch die sich stets ändernde Bewegung des Lichts. Andererseits beeinflusst das die Präsenz der einzelnen Werkteile, da nicht immer eine vollständige Beleuchtung gegeben ist. So werden manche Teile von der Dunkelheit „geschluckt“, während die beleuchteten Teile im Fokus sind – besonders die durch die Ausschnitte extra hervorgehobenen Stellen. Die Dunkelheit veranlasst aber auch, dass kein sehr intensiver Blick auf die Qualität der Zeichnungen zustande kommt, auch wenn man sich dennoch individuell in eine Arbeit vertiefen kann. Vielmehr geht es um die atmosphärische Wirkung und sinnliche Stimmung im Raum. Dies wird auch zum Diskussionspunkt: Wie beeinflusst ein Präsentationsform die Wirkung der Arbeiten? Da diese dunkle Ausstellungssituation eher inszeniert ist, wäre ein Vergleich zur Präsentation im White Cube interessant. Das führt zu der Frage, ob das Spiel mit Licht und Dunkelheit von den Zeichnungen ablenkt und diese übertrumpft oder ob die erzeugte Stimmung einen Mehrwert für die Arbeiten bringt. Zur Weiterarbeit kommt der Vorschlag, dass man die Grafiken einmal von hinten und einmal von vorn beleuchtet fotografieren und vergleichen könnte. Zudem wird über den Nutzen der Butterbrottüte diskutiert, da die Blätter fest übereinanderliegen und zwar zu vertauschen, aber nicht zu verschieben sind. Es wird weiterhin angemerkt, dass die Überlagerung der grafischen Arbeiten ebenso eingescannt werden könnte, um die Transparenz aufzulösen und ein einheitliches Bild zu schaffen.

Das Ziel der nächsten Arbeitsphase beinhaltet die Anfertigung einer Collage mithilfe der Transfermethode. Alle Studierenden fertigen mehrere Aufkleber von den Kopien an, welche anschließend mit den grafischen Bildern collagiert werden. Aus dieser Aufgabe ziehen viele Kommiliton*innen den Umgang mit einer neuen Methode – der Anfertigung von Aufklebern. Die meisten Studierenden sind sehr motiviert und angeregt, experimentell mit diesem Verfahren umzugehen. Um die Arbeitsatmosphäre nicht zu beenden, wäre ein größeres Zeitfenster gewinnbringend gewesen. Als Erkenntnis lässt sich ziehen, dass das Potential der Technik nicht vollständig ausgeschöpft wird, da oft im ursprünglichen Format der Kopie gearbeitet wird. Nur wenige brechen dieses auf, indem sie beispielsweise den Sticker verkleinerten. Mit mehr verfügbarer Zeit, hätten wahrscheinlich viele Kommilitonen diese gestalterischen Möglichkeiten auch erkannt.

Das Ergebnis der zweiten Ausstellungsphase sollte die Präsentation der Arbeiten an der Fensterfront. Das durchsichtige Fensterglas schafft eine Verbindung zum transparenten Papier und verstärkt dessen Wirkung. Gleichzeitig entsteht eine höhere Stabilität, da die Tüte an einem festen Untergrund hängt und nicht freischwebt. Die Schichten des Transparentpapieres lassen eine engere Überlagerung entstehen, sodass die einzelnen Strukturen besser zur Wirkung kommen. Diskussionspunkte seitens der Studierenden sind einerseits die Dominanz des Stickers auf der meist zarten Grafik. Hierbei hätte man die Arbeit wenden können, sodass der Sticker im Hintergrund bleibt. Andererseits wird angemerkt, inwiefern die Welt außerhalb des Fensters mit in die Arbeit einbezogen werden kann. Die Weiterarbeit könnte fotografisch erfolgen, sodass eine Graffiti-ähnliche Wirkung entsteht. Allgemeine Gestaltungsaspekte werden kritisch hinterfragt, inwieweit eine Konkurrenz zwischen Grafik und Foto besteht. Es wird diskutiert, wie ein Fokus gesetzt werden könnte. Mehr Grafik weniger Foto oder auch anders herum? Als Ergebnis entstehen viele schwarz-weiß und Grauwerte. Es wird über die Wirkung vom Gestaltungmittel TipEx diskutiert, da sich seine Farbigkeit unter Lichteinfall ändert. Beim Betrachten der Werke kommt die Frage auf, ob noch ein Bezug zum Schlagwort zu erkennen ist. Bestärkt der Sticker das Schlagwort oder hat sich die Arbeit vom Schlagwort vollständig abgelöst? Die Diskussion offenbart viele Ansätze zum um- und weiterdenken.

Rückblickend ergeben sich einige Erkenntnisse. Unsere gewählte Struktur war schlüssig und durch die Aufgabenblätter logisch veranschaulicht. Anfang und Ende der VMS bildeten einen Kreis, der sich schließt. Die Fotografien wurden durchweg aufgegriffen und bildeten anregende Gestaltungsanlässe. Es wurde angemerkt, dass sich der Blick zu den Fotografien ändert. Durch Entfremdung entsteht eine Distanz, die durch das finale Zusammenfügen wieder aufgelöst wird. Am Ende bildet sich ein stimmiges Bild. Besonders erkenntnisreich war der Materialmix von alltäglichen Materialien wie Fotos, Butterbrottüten und Transparentpapier. Daraus ergibt sich der Anspruch, auch aus gewöhnlichen Materialien ein gestalterisches Potential zu nutzen. Man sollte auf die gegebene Raumsituation achten und diese sinnstiftend in Vermittlungsprozessen einbeziehen. Die Inszenierung von Ergebnissen im Raum spielt eine große Rolle für die Wirkung und die Ästhetik.


LITERATURVERZEICHNIS

Alfs, Alexander; Böhlich, Adolf (Hrsg.): Mit Feder, Stift und Pinsel. Eine Anleitung für grafisches Gestalten. 5. Auflage, Berlin: Volk und Wissen volkseigener Verlag 1988.

Grütjen, Jörg: Christian Boltanski – Verlorenes festhalten wollen: Fotos, Gegenstände, Orte. In: Bering, Kunibert; Niehoff, Rolf (Hrsg.): Vom Bilde aus… Beiträge des Faches Kunst für andere Fächer. Oberhausen: Athena Verlag 2007, S. 57-71.

Heil, Christine: Kunstunterricht kartieren. Handlungsräume im Unterricht herstellen und erforschen. In: Heil, Christine (Hrsg.): Kartierende Auseinandersetzung mit aktueller Kunst. München: Schroedel Verlag 2007. Online-Publikation: URL: https://www.kunstlinks.de/material/peez/2008-04-heil.pdf – Download vom 28.03.2018.

Klettenheimer, Ingrid (Hrsg.): ALS-Handbuch der Gestaltungstechniken. 172 mehrfarbige Beispiele aus der Grundschulpraxis. Frankfurt a.M.: ALS-Verlag GmbH 1984.

Merz, Marianne (Hrsg.): Grafische Techniken. Lernbereich Grafik. Band 3: Unterrichtshilfen für die Bildende Kunst in der Grundschule. Frankfurt a.M.: ALS-Verlag GmbH 1983.

Peez, Georg: Kunstpädagogik jetzt. Eine aktuelle Bestandsaufnahme: Bild – Kunst – Subjekt. In: Bering, Kunibert; Niehoff, Rolf (Hrsg.): Bilder – Eine Herausforderung für die Bildung. Oberhausen: Athena Verlag 2005, S. 75-89. Online-Publikation: URL: http://www.georgpeez.de/texte/jetzt.htm – Download vom 28.03.2018.

Waldmann, Diane: Collage und Objektkkunst vom Kubismus bis heute. Köln: DuMont Buchverlag 1993, S. 8.

Wick, Kurt; Wick, Rainer (Hrsg.): Form und Farbe. Lehr- und Arbeitsbuch für angewandtes Gestalten. 5. Auflage, Bonn: Ferd. Dümmlers Verlag 1987.