ACT. MOVE. PERFORM. Performance und Performativität in Kunst, Bildung und Forschung

Symposium und Fachtagung für Nachwuchswissenschaftlertagung des Fachbereichs Kunstpädagogik an der TU Dresden

TEXT: CHRISTIN LÜBKE


Vom 30.9. – 5.10. 2017 fand in Dresden und in der Fortbildungsstätte Schloss Siebeneichen bei Meißen das Symposium Act. Move. Perform. Performance und Performativität in Kunst, Bildung und Forschung statt. Die umfangreiche Veranstaltungswoche wurde von einem Team organisiert, das aus Prof. Dr. Marie-Luise Lange, Christin Lübke (beide Kunstpädagogik TU Dresden) und dem Künstler BBBJohannes Deimling (Direktor von PAS) sowie vielen studentischen Helferinnen bestand. Das Sächsische Bildungsinstitut finanzierte die Veranstaltung als Fortbildung für KunstlehrerInnen, Theater- und MuseumspädagogInnen. Das Symposium stand unter Schirmherrschaft des sächsischen Ministeriums für Kultus und gab Einblicke in zeitgenössische  künstlerische, wissenschaftliche und pädagogische Zugänge zu Begriff und Bedeutung von Performativität und Performance Art.

Das Symposium wurde zum Auftaktwochende mit Performancepräsentationen von  international bekannten Performancekünstlern und -künstlerinnen wie Nezaket Ekici (Türkei/Berlin) BBBJohannes Deimling (Dresden), Stefanie Trojan (Frankfurt/Main), Vivien Chinasa Ezugha (London/Nigeria), Dorothea Rust (Schweiz), Wolfgang Sautermeister (Mannheim), Kineret Haya Max (Israel) und Arti Grabowski (Krakow/Polen) im Zentralwerk Dresden und an der Elbe eröffnet. Auch Studierende der TU Dresden und die Performancegruppe Seite.30 bereicherten das von einer Festivalstimmung geprägte Wochenende mit einer Präsentation. Die Performances umrissen ein abwechslungsreiches Bildkonglomerat, das sich aus lauten und leisen, reduzierten und beladenen, hellen und dunklen, poetischen und brachialen, komponierten und zufälligen, dynamischen und stillen Elementen speiste.  Die Teilnehmenden des Symposiums erhielten lebendige Eindrücke in die Vielfalt zeitgenössischer Performanceformen und konnten erste Erwartungen konturieren, die sie an die anstehenden Workshops stellten. Denn die Künstler und Künstlerinnen des Symposiums traten in einer Doppelfunktion auf. Sie zeigten eine Performance, leiteten im Anschluss als Lehrende jedoch auch zwei Workshops, innerhalb derer sie ihre eigene Herangehensweise an Körperarbeit und die Entwicklung von Performance zusammen mit den Teilnehmenden des Symposiums erprobten.

Nach einer  ersten, intensiven Workshoprunde, die auf Schloss Siebeneichen in Meißen stattfand, wurden am Mittwoch erste Arbeitsergebnisse und Prozessausschnitte präsentiert. Die körperbezogenen Aktionen in den großzügigen Räumen des Schlosses und der herbstlich-stürmischen Außenananlage waren geprägt von vielseitigen Bildern, die sich über belebte Materialvariationen und sensibel komponierte Bilder generierten. Sowohl die Teilnehmernden als auch die Lehrenden hatten nach drei Tagen gemeinsamer Arbeit zu einem ersten fruchtbaren Höhepunkt gefunden, dessen Energie dann auch mit viel Lust und Spannung in die zweite Workshoprunde getragen wurde. Der Wechsel der Workshops ermöglichte es den Teilnehmenden des Symposiums, kontrast- und variantenreiche Lehrkonzepte zu erfahren, um für die eigene Kunst- und Lehrpraxis vielseitige Anregungen und Impulse zu erhalten.

Die Intensität der handelnden Auseinandersetzung, die während der Arbeitsphasen im ganzen Schloss zu spüren war, wurde an den gemeinsamen Abenden um ein intellektuelles Format bereichert. Die Künstler und Künstlerinnen gaben in Form von bild- und sprachbegleiteten Lectures vertiefte Einblicke in die Entwicklung der eigenen künstlerisch-performativen Arbeit. Die Vielseitigkeit, die sich als Grundstimmung und Stoßrichtung des Symposiums herausstellte, erhielt in den bildbauenden Ausführungen von BBBJohannes Deimling, den transdisziplinären Zugängen von Dorothea Rust, den in politischen Kontexten verwobenen Gedanken  Vivien Chinasa Ezughas und den reduziert-geerdeten Aussagen Stefanie Trojans eine weitere Facette – um an dieser Stelle nur einen kleinen Einblick zu gewähren.

Ein weiterer Höhepunkt und damit auch Abschluss des Symposiums fand Freitagnachmittag im Albertinum Dresden statt. Der Künstler Johannes Deimling hatte während der Symposiumswoche im TjG mit Schülerr und Schülerinnen aus Dresdner Schulen eine Gruppenperformance erarbeitet, die sie im Lichthof des Albertinums aufführten. Unter dem Titel colorblind VII (live) zeigten die Jugendlichen eine ca. 25 minütige Performance, in der sie performativen Dialogen und Interaktionen mit farbigen Tüchern sowie Holzstangen in situ entwickelten. Es entstand ein dynamisches, farbenfrohes, sich ständig veränderndes bildnerisches Geflecht, das sehr frisch aber auch konzentriert von den Jugendlichen vorgetragen wurde. Sowohl die BesucherInnen des Albertinums als auch die Teilnehmenden des Symposiums erhielten einen Einblick in die künstlerische Qualität und Bandbreite, die Heranwachsende durch intensive künstlerischer Leitung in der performativen Arbeit mit dem eigenen Körper entfalten können.

Das Symposium, das sowohl vom Organisationsteam als auch von den Teilnehmenden als erfolgreiche, produktive und intensive Arbeitswoche bewertet wurde, erhielt mit einem Tag Pause eine weitere Facette. Am Institut für Kunst- und Musikwissenschaft richteten wir in Zusammenarbeit mit Antje Dudek am 08.10.2018 eine Fachtagung für junge Nachwuchswissenschtler und –wissenschaftlerinnen aus, die sich inhaltlich mit den zuvor erprobten Themen auseinandersetze. Denn die Auseinandersetzung um Performativität, Ereignishaftigkeit und performativen Verhalten findet nicht nur im Bereich der bildenden und darstellenden Künste ihre Heimat, sondern prägt seit mehr als einem halben Jahrhundert auch Wissenschaftsfelder in der Linguistik, der Ethnologie, der Theaterwissenschaft, den Gender- und Visual Studies, der Philosophie, den Kunst- und Kulturwissenschaften, den Raumtheorien, der Improvisationslehre und in den letzten Jahren verstärkt auch in den Bildungswissenschaften, der Medienpädagogik und den Wissensarchitekturen.

Der Keynotevortrag Performativity as a state of mind von Prof. Dr. Marie-Luise Lange beschäftigte sich mit der Eröffnung sehr unterschiedlicher performativer Perspektiven wie der des deutschen Beitrags der Choreografin Anne Imhof auf der 57. Biennale Venedig 2017, der der Dresdner Autoperforationsartisten in den 80er Jahren sowie des Konzepts des Kurators Adam Scymzyks auf der documenta 14 in Kassel und Athen 2017. Die zweite Keynotespeakerin, Eva Plischke, Mitglied des Hamburger Graduiertenkollegs Versammlung und Teilhabe  und des Performance Kollektivs TURBO PASCAL, sprach zum Thema Die Probe, die Performance und die Zukunft. Sie stellte Projekte aus der szenisch-forschenden Theaterpraxis des Fundustheaters Hamburg und der Gruppe TURBO PASCAL vor, in denen gemeinsam mit Schülern und Schülerinnen über Zukunft und biografische Wege von MigrantInnen geforscht und Zeit-Tausch-Pakte mit Erwachsenen und Jugendlichen abgeschlossen wurden.

In zwei Panels stellten daraufhin die NachwuchswissenschaftlerInnen ihre wissenschaftlichen Untersuchungen vor. Christin Lübke von der TU Dresden sprach zum Körper als künstlerisches Material in performativen Vermittlungssettings, über dessen Zugang spezifisch generierte Sinnfelder eröffnet werden können. Anhand ihrer feingliedrigen, phänomenologischen Beobachtungen von Performances im Kunstunterricht wies sie nach, inwiefern die Körper der Lernenden durch spürendes Verstehen im performativen Tun erweiterte Zugänge zu sich, zum Raum und dadurch auch zur Welt bekamen. Anna Stern von der Universität Osnabrück stellte in ihrem Vortrag Ängste bändigen, Übergänge gestalten, Rollen austesten – Wie die Vermittlung von site-specific performance art Möglichkeiten für Bildungsräume eröffnen kann die Arbeit mit GrundschülerInnen zu ortsspezifischen Performances im öffentlichen Räumen vor. Mandy Putz, Masterstudentin an der Universität Leipzig, bereicherte die Ausführungen durch ihren Vortrag zum Thema Performance in der rezeptiven Kunsttherapie.

In einem zweiten Panel referierte Bernadett Settele von der Hochschule für Design und Kunst in Luzern Zum Transfer queerfeministischer Theorie auf eine Bildungstheorie der kollektiven ästhetischen Situation und Joonas Laathinen von der Akademie der bildenden Künste Wien  zum Thema How to adress politics oft the sensible in participatory performance practice – „Sensory fields“, „experience fields“ und „body techniques“ as materialist-performative analytical tools. Antje Dudek, Doktorandin der TU Dresden dachte unter dem Titel Doing It Right? über das Scheitern in Performance Art Education nach.

Zum Abschluss der Tagung diskutierten wir zwei Beiträge im Plenum. Regina Rossi von der Justus-Liebig-Universität in Gießen sprach orientiert an Elias Canettis Werk „Masse und Macht“ zum Thema Masse oder Gemeinschaft? Performativität und Partizipation am Beispiel der Tanzperformance Suddenly everywhere is black of people von Marcello Eveling. Rossi, aus der Theaterwissenschaft kommend, klärt, wie es der Inszenierung gelingt, das Publikum als Prototyp von Masse durch Bewegung zwischen den Tanzenden aufzulösen und so eine gewisse Basis der Gleichheit mit den Akteuren und Akteurinnen zu schaffen. Dr. des Agnes Bube von der Leibnitz Universität Hannover referierte zur Kunstrezeption als performativer Akt.

Sowohl das Symposium als auch die Fachtagung haben in ihren pluralen Zugängen gezeigt, dass Begriff und Praxis von Performance und Performativität vielgestaltige Konturen annehmen kann, deren Stoßkraft sich in differierenden Feldern entfaltet und zukunftsweisend in Kunst, Bildung und Forschung fruchtbar verändernd eingreift.

Dieser Artikel erschien in den BDK-Mitteilungen (3/2018). Siehe auch: https://www.bdk-online.info/blog/category/schriften/bdk-mitteilungen/