„Sparkling Moments – Licht als künstlerisches Material“
Vermittlungssituation zum Werk Jürgen Albrechts
TEXT: Magdalena Holzweißig und Michelle Pfeifer
- Verortung
Seit der klassischen Moderne ist in der Kunst bzgl. des Materials ein Paradigmenwechsel zu verzeichnen, der u.a. Konsequenzen für die kunstpädagogische Praxis nach sich zieht. Das Material unterliegt nicht mehr „dem Primat der Form, sondern [wird] als autonome ästhetische Kategorie künstlerischer Arbeit betrachtet“ (Kathke 2017, S. 24). Im „Neuen Materialismus“ werden Materialien konkret verwendet, anstatt sie nachzuahmen oder eine gewisse Materialität zu illusionieren. Dies führt zu einer „Verlagerung von Sinn und Bedeutung in das Material und seine Inszenierung“ (Kathke 2017, S. 28). Im Zuge einer kunstpädagogischen Professionalisierung ist es daher unumgänglich sich mit der Bedeutung von Materie, Material und Materialität für künstlerisches Handeln auseinanderzusetzen. So betont Petra Kathke im Hinblick auf die künstlerische Lehre:
„Das Materielle spielt uns also etwas zu, bringt etwas als Grundlage des Existenten zum Erscheinen, das Heranwachsenden die Konstruktion von Wirklichkeit ermöglicht und ihnen in Phasen des Handhabens und Gestaltens zugleich das Gefühl der Selbstwirksamkeit vermittelt.“ (Kathke 2017, S. 25)
Unter diesem Schwerpunkt wurde im Rahmen des Seminars „Material und künstlerisches Handeln – Positionen und Perspektiven in der Kunstpädagogik“ mit verschiedenen Materialien, wie z.B. Papier, Sound oder aus der Natur, gearbeitet. In Vorbereitung für die gemeinsame Vermittlungssituation haben wir Licht als künstlerisches Material bzgl. seiner Qualitäten ästhetisch erforscht und verschiedene Zugänge erprobt. Dabei haben wir uns u.a. mit Reflexion, Schattenwürfen, verschiedenen Lichtquellen, Lichtmalerei und Cyanotypie auseinandergesetzt. So essentiell das Licht für den Menschen ist, so verankert ist es auch in der Kunst. Seine kunstfertige Darstellung, wie etwa in den Gemälden Caravaggios, war schon immer von großer Bedeutung. Auch technische Errungenschaften wie die Camera obscura oder die Laterna magica, welche später in der Entwicklung von Fotografie und Film mündeten, waren von großem Interesse. Im Laufe der Moderne kann man aber auch hier eine Veränderung feststellen. „An die Stelle der Repräsentation von Licht“ in der Kunst – das heißt der lediglichen Darstellung und Nutzung von Licht – „tritt die Realität von Licht” (Klee 2015, S.7). In der nun aufkommenden Lichtkunst wird Licht als „autonomer und bedeutungstragender, statischer oder dynamischer Bild-, Flächen-, Form- oder Raumerzeuger“ verstanden (Otto 2015, S.17).
Geprägt von Entmaterialisierung und Immaterialität geht es in der Licht-Kunst um Möglichkeiten zur bewussten Erfahrung der Eigenschaften des Materials (vgl. Schwarz 1998, S. 83). Dabei arbeiten die KünstlerInnen auf ganz unterschiedliche Weise mit der Selbstreferenz des Lichts. So spielen Otto Piene oder Mischa Kuball mit Reflexionen und Spiegelung und erzeugen so kosmische Licht-Installationen. Abstrakt hingegen wirken die Licht-Farbräume von James Turell, Dan Flavin, Ann Veronica Janssens oder Sigrun Appelt. Einige setzen sowohl starre als auch formbare Neonröhren ein, wie Francois Morellet, Bruce Naumann, Brigitte Kowanz oder Waltraut Cooper. Andere, z.B. Christian Boltanski oder auch Rebecca Horn, arbeiten mit Schattenspielen. Auch das natürliche Licht wird als künstlerisches Material eingebunden. So bewirkt das wechselnde Tageslicht ein Licht-Schatten-Spiel in den minimalistisch und abstrakt gestalteten Licht-Raum-Skulpturen von Jürgen Albrecht, die die inhaltliche Grundlage unserer Vermittlungssituation bilden. Auch innerhalb der Landart integrieren einige KünstlerInnen, wie Nancy Holt oder Walter De Maria, gezielt das (Tages-) Licht in ihre Werke. Trotz unterschiedlicher künstlerischer Strategien wird das Licht stets „als autonomer und bedeutungstragender, statischer oder dynamischer Bild-, Flächen-, Form- oder Raumerzeuger eingesetzt” (Otto 2015, S. 17).
Für unsere Vermittlungssituation wollen wir die „intrinsische[n] selbst-transformative[n] Potentiale“ (Witzgall 2014 zit. in: Kathke 2017, S. 48), die von der Materie bzw. dem Material ausgehen, nutzen. Anhand dessen steht die eigene ästhetische Erfahrung als Impulsgeber zum Arbeiten im Fokus. Die Grundlage unseres Konzepts bilden dabei die Arbeitsprinzipien zum Gelingen kultureller Bildungsangebote von Nana Eger.
2. Intention
Im Sinne einer kulturellen Bildung sollen Rahmenbedingungen für ästhetische Erfahrungen geschaffen werden, in dem wir sowohl eine ästhetische Rezeption als auch eine ästhetische Produktion ermöglichen (vgl. Brandstätter 2013/ 2012). Dementsprechend liegt die Intention primär losgelöst von äußeren Zielen zum einen in der Erfahrung des Materials, zum anderen im Akt der Wahrnehmung selbst. Gleichzeitig möchten wir den Studierenden, in Anlehnung an unsere eigenen Erfahrungen durch die künstlerisch-ästhetischen Auseinandersetzung, die Wirkungsweisen bzw. Prinzipien der Lichtkunst vermitteln. Das Zentrum der Vermittlungssituation bildet das Werk Jürgen Albrechts. Anhand des Materials und des ästhetischen Erlebens, des Experimentierens und der Exploration soll eine ganzheitliche Erfahrung der Wirklichkeitserfassung ermöglicht werden. Dabei stehen „Wahrnehmung und Handeln, Empfinden und Reflektieren, Körper und Geist“ (Kathke 2017, S. 30) stets in Wechselwirkung. Zudem sollen haptische und visuelle Eindrücke miteinander in Verbindung gesetzt werden, was aus neurophysiologischer Sicht nach Axel Buether eine „unmittelbare Rückbestätigung oder Gewissheit über die Art und Weise seiner eigenen Existenz“ (Buether 2010 in: Kathke 2017, S. 32) ermöglicht.
3. Konzept
Beim Erarbeiten des Konzeptes müssen wir immer wieder zwischen zwei Polen abwägen: Das Einräumen von Freiheit, möglichst Vielfalt, Ergebnisoffenheit steht dem Wunsch nach Eingrenzung, Überschaubarkeit und zielgerichtetem Arbeiten gegenüber. Die Vermittlungssituation soll möglichst viele Blickfelder eröffnen, jedoch strukturiert sein und nicht im Chaos münden. Daher entscheiden wir uns auch dafür, unsere Vermittlungssituation auf den Künstler Jürgen Albrecht (geb. 1954 in Hamburg) zu konzentrieren. Dessen Arbeiten haben unseren gemeinsamen künstlerischen Prozess maßgeblich beeinflusst. Seine ‚Lichtskulpturen‘ wirken zunächst von außen wie schlichte, geometrische Körper. Durch den Blick in eben jene werden den Betrachtenden jedoch abstrakte Räume eröffnet, die sich gleich einer Miniaturwelt entfalten. Eine antike Säulenhalle? Ein leerstehendes Bürogebäude? Oder doch einfach nur mit dem Pinsel aneinandergesetzte Farbfelder? In Abhängigkeit der Lichtsituation und Perspektive ergeben sich immer wieder neue Eindrücke, nichts bleibt bestehen. Faszinierend ist dabei die Schlichtheit der Arbeiten, die sich lediglich auf geometrische Formen und Kunst- oder Tageslicht beschränken. Diese Reduktion bewirkt, dass das Licht als Material hier eindrücklich vor Augen geführt wird. Bei Albrechts Arbeiten geht es, beruhend auf der Wirkung des Lichts, um Perspektivwechsel, um Innen und Außen, um das Eröffnen von Räumen, das Spiel mit Illusionen und Assoziationen (vgl. Schwarz 1998, S. 91).
Ausgehend von unserer eigenen Erfahrung, die wir durch das Bauen ähnlicher Lichträume und das Experimentieren mit unterschiedlichen Lichtquellen in Verbindung mit verschiedenen Materialien gesammelt haben, gliedert sich die Einheit in drei Phasen: Einführung, Erarbeitung, Präsentation mit abschließender Reflexion. Um einen Rahmen zu spannen, innerhalb dessen ein freies, prozessorientiertes und strukturiertes Arbeiten stattfinden kann, haben wir in unserer Konzeption die bereits erwähnten Arbeitsprinzipien nach Nana Eger berücksichtigt.
4. Begin with the Body! – Die Einführung in das Thema
Den Ausgangspunkt der Arbeit bildet ein kurzes Input-Video, das einen o.g. Licht-Raum Albrechts von der Innenansicht zeigt. Dafür verteilen sich die Studierenden in einem kleinen dunklen Nebenraum auf Kissen, positionieren sich entspannt und lassen die Bilder bzw. die gezeigten Licht-Schatten-Situationen zunächst einfach wirken. Hierbei geht es um das gemeinsame Ankommen im Seminar und das Einstimmen auf die Vermittlungssituation, in dem die Sinne, insbesondere der Sehsinn, angeregt werden sowie Neugier erweckt wird. Anschließend notieren die Studierenden ihre Eindrücke und geben sie in Form von Schlagwörtern wieder. Nach dem gemeinsamen Austausch und Reflektieren folgt ein kurzer Theorie-Input, in dem Licht als künstlerisches Material herausgestellt und ein Überblick über die Entwicklung der Lichtkunst gegeben wird. Des Weiteren stellen wir einige KünstlerInnen vor, die mit Licht arbeiten. Hierbei gehen wir jedoch noch nicht auf Jürgen Albrecht ein, um dem eigenen Erarbeiten der Studierenden nichts vorweg zu nehmen.
5. Learning by noticing, experiencing…and doing! – Die Erarbeitung
Im Anschluss an die Einführung geht es an die eigene Auseinandersetzung mit dem Material Licht. Hierbei stehen weiterhin die Körperlichkeit und das ganzheitliche Arbeiten mit sinnesbasierter und kognitiver Wahrnehmung im Vordergrund. Für eine schrittweise Erarbeitung und um möglichst viel Freiraum für das Experimentieren zu lassen, haben wir die Praxisphase wiederum in zwei Abschnitte unterteilt.
„Wenn Material im kunstpädagogischen Kontext […] Gegenstand bewusstseinsverändernder Interaktionen sein soll, setzt das die leibsinnliche und reflektierende Vergewisserung seiner Möglichkeiten in Phasen der Annäherung voraus […].“ (Kathke 2017, S. 36)
In Anlehnung an Kathke haben wir großen Wert auf die im Zitat erwähnte Annäherung gelegt. Sie bildet den ersten Teil der Erarbeitung. Durch das eigene visuell-haptische Erkunden und Erfahren des Materials Licht sollen die TeilnehmerInnen jeweils im Team die Qualitäten, die strukturellen Eigenschaften und die sich daraus ergebende Gestaltungspotentiale, die das Licht bereithält, herausstellen. In Anlehnung an unsere eigene künstlerisch-ästhetische Auseinandersetzung mit dem Material, stellen wir zusätzlich verschiedene Materialien (u.a. Papiere, Folien, Pappen, Holzkörper, Watte) und Lichtquellen zur Verfügung, um unterschiedliche Zugänge zu erproben. Dabei sollen Beziehungen zwischen den Materialien unter den Schwerpunkten Lichtdurchlässigkeit, Struktur und Räumlichkeit ausgelotet werden. Den Prozess begleitend gibt es ein Handout mit entsprechenden Arbeitsanregungen. Die Arbeitsschritte und die Ergebnisse werden fotografisch von den Studierenden festgehalten. Anschließend werden jeweils 5 Fotografien, die besonders spannend, anregend oder interessant sind, ausgewählt und über das Smartboard präsentiert, um gemeinsam die erste Erarbeitungsphase zu reflektieren und die verschiedenen Qualitäten der Materialien festzuhalten.
Im zweiten Teil der Praxisphase soll nun mit Hilfe der gewonnen Erkenntnisse aus der Materialerkundung das Licht gezielt als künstlerisches Material eingesetzt werden, indem die TeilnehmerInnen, ebenfalls zu zweit, eigene Lichträume gestalten. Hierfür stehen verschiedene Kartons zur Verfügung, in denen durch entsprechende Licht-Schatten-Beziehungen eine spannende Räumlichkeit erzeugt werden soll. Beim Erbauen der Objekte nehmen die StudentInnen verschiedene Perspektiven ein. So lassen die Lichträume sowohl die Innen- als auch eine Außenansicht zu. Nach dem Fertigstellen der Objekte sollen diese von den Studierenden mit einer Kamera untersucht werden. Nun wird der Blick auf den Innenraum gelenkt und zugleich mit digitalem Auge festgehalten. Die dabei entstehenden Videosequenzen transformieren die haptische Selbsterfahrung in eine abstrahierende Fremderfahrung, indem sie später im Plenum abgespielt werden.
6. Die Präsentation und Reflexion
In der Auswertung spiegelt sich das Spiel mit den verschiedenen Perspektiven wieder. Zunächst werden die entstandenen Objekte betrachtet und deren künstlerische Qualität besprochen. Von der Selbsterfahrung beim Erbauen der Lichträume und dem damit verbundenen haptischen Erleben des Innenraumes wendet sich nun die Aufmerksamkeit auf die Außen- und Innenansicht der Objekte, jedoch aus der Perspektive der bzw. des Betrachtenden. Durch das Präsentieren der Videosequenzen führt diese dann wieder zurück in den Innenraum der Licht-Körper und mündet schließlich in die Perspektive der bzw. des Schaffenden. Dem Beginn des Seminars entsprechend findet die Projektion ebenfalls in dem kleinen Nebenraum statt. Erneut positionieren sich die Studierenden bequem auf die Kissen und lassen die Bilder bzw. die atmosphärische Lichtsituation wirken. Damit bildet die leibsinnliche Wahrnehmung des Materials Licht den Abschluss unserer Vermittlungssituation. Dafür werden die Eindrücke stichpunkartig ausgetauscht und die Arbeiten reflektiert. Um den Bogen zum Einstieg zu spannen, folgt nun die Ausgabe des Handouts, auf dem auch der Künstler Jürgen Albrecht vorgestellt ist.
Mittels der Methode des Blitzlichts wird schließlich die Vermittlungssituation gemeinsam im Plenum ausgewertet, um uns Rückmeldungen, Kritik und Anmerkungen einzuholen.
7. Literaturverzeichnis
ALBRECHT, Jürgen: Jürgen Albrecht Instrument Nr. URL: http://www.juergenalbrecht.com/instrumente.php – zuletzt geprüft am 15.11.2018.
BIERMANN, Gertrud; KERLER, Frieder: Schulkunst. Farbe – Licht. Hg. von: Landesinstitut Schulsport, Schulkunst und Schulmusik Baden-Württemberg. Stuttgart: e. kurz + co, druck und medientechnik gmbh, 2013.
BRANDSTÄTTER, Ursula: Ästhetische Erfahrung. 2013/ 2012. In: Kubi-online: Wissenstransfer für Kulturelle Bildung. Bundesakademie für Kulturelle Bildung Wolfenbüttel e.V. URL: https://www.kubi-online.de/artikel/aesthetische-erfahrung – zuletzt geprüft am 05.11.2018.
EGER, Nana: What works? Arbeitsprinzipien zum Gelingen kultureller Bildungsangebote an der Schnittstelle von Kunst und Schule. 2015. In: Kubi-online: Wissenstransfer für Kulturelle Bildung. Bundesakademie für Kulturelle Bildung Wolfenbüttel e.V. URL: https://www.kubi-online.de/artikel/what-works-arbeitsprinzipien-zum-gelingen-kultureller-bildungsangebote-schnittstelle-kunst – zuletzt geprüft am 06.11.2018.
KATHKE, Petra: Materialität inszenieren. Ein Desiderat im Handlungsfeld künstlerischer Lehre. In: Autsch, Sabine; Hörnek, Sara: Material und künstlerisches Handeln. Positionen und Perspektiven in der Gegenwartskunst. Bielefeld, 2017.
KLEE, Sonja: Licht-Kunst. Eine Ästhetik des 20.Jhs. In: Weishaupt, Siegfried: Spot an! Lichtkunst von Flavin, Kowanz, Morellet, Nannucci, Sonnier u.a. Ulm: Kunsthalle Weishaupt, 2015.
OTTO, Julia: Scheinwerfer. Lichtkunst in Deutschland im 21.Jahrhundert. Von der Idee zum Projekt. In: Scheinwerfer. Lichtkunst in Deutschland im 21.Jahrhundert. Hg. von Otto, Julia; Simon,Robert. Bielefeld: Kerber 2015.
SCHWARZ, Michael: Licht und Raum. Elektrisches Licht in der Kunst des 20. Jahrhunderts. Köln 1998.