FOKUS KUNST

EINE VERMITTLUNGSSITUATION VON ANNA GUSEWSKI, MARIA KRIMMLING UND ISABELL BALDERMANN


Das Problem mit der Sprache 

„Gespräche über Bilder sind bewegliche Gefüge, in denen das Sehen und Sprechen sich gegenseitig auf die Welt bringen.“ (Sturm 2010, S. 3)

Über Kunst zu sprechen ist fruchtbringend und hinderlich zu gleich, denn zum Einen wird durch das Verbalisieren Wissen erworben, zum Anderen kann man Gesehenes nicht auf die Art ausdrücken, wie man tatsächlich sieht. Dies problematisieren auch Herbold/Kirschenmann, die erklären, dass die standardisierte Sprache meist der inneren Wahrnehmung nicht gerecht wird und folglich keine Kongruenz zwischen Bild und Bildbeschreibung entstehen kann. (Herbold/Kirschenmann 2013, S. 3) Dieses dichotome Paradoxon kann auch als Begründung dafür gesehen werden, warum stets Mehrperspektivität und unterschiedliche Deutungen für Kunstwerke zulässig sein müssen, denn der subjektive Zugang zum Sehen und zur Sprache macht die Deutung unabschließbar und individuell.

Was war nochmal der Bildungsauftrag?

In Bezug auf die PISA-Resultate stellt Buschkühle fest, dass der Fokus der Schulen darin liegt, Lernende zu fähigen Gesellschaftsmitgliedern zu machen. Die eigene Bildung zum Individuum samt durchdringender Denkprozesse und Selbstbestimmung stehe deutlich im Hintergrund. Nach seiner Auffassung würde ein ungehemmtes Auseinandersetzen mit der Kunst sowohl kontemplativ als auch imaginativ auf den Rezipierenden einwirken und daraus resultierend eine innere Komplexität befördern. (Buschkühle 2005, S. 220f)  Aus Masets Perspektive ist die Kunstpädagogik zu stark organisiert, wodurch das Experimentieren und die Freiheit eingeschränkt werden. Dabei, argumentiert er, sei gerade das Auseinandersetzen mit der Gegenwartsästhetik notwendig, um eine Dekodierfähigkeit in sich zu etablieren und dadurch zum Verstehen der Welt bzw. zur Orientierung in ihr zu gelangen. Dem Fach Kunst spricht er dabei besonderes Potenzial zu, denn wird dieses als ‚Testfeld‘ verstanden, können Lernende ihr Potenzial entfalten, sich Herausforderungen stellen und sich selbst verorten.

„Der Kunstunterricht ist seinem Wesen nach eine experimentelle Situation, in der anhand von Auseinandersetzung von Materialien, Wahrnehmungen und Begriffe Welt- und Selbstreferenz erprobt und erfahrbar werden können.“ (Maset 2005, S. 9 )

Diese Unterrichtsweise erfordert eine stark ausdifferenzierte Kunstpädagogik, ermöglicht aber die Herausbildung pluraler Mentalitäten und Lebensstile unter den Lernenden, wodurch eine Abkehr vom bloßen Funktionieren innerhalb einer Gesellschaft geschehen würde und der Bildungsauftrag als das Fördern selbstbestimmter, mündiger BürgerInnen wieder im Fokus läge.

Zielstellung

Ziele der Vermittlungssituation waren es, den Studierenden viel Zeit für eigene Kreativität und Gedanken zu lassen, aber auch in Kontakt mit der Gruppe zu bleiben und in einen fruchtbaren Austausch über Eindrücke und Ideen zu gelangen. Im ersten Schritt war es wichtig, dass die private Erfahrung einen individuellen Zugang zum Thema ermöglicht. Die Herausforderung lag darin, einen Ausgleich zwischen konventionalisierten Kommunikationskanälen und den eigenen Anschauungen zu schaffen. Eva Sturm behandelt die Sprache als ein geeignetes Werkzeug für die Vermittlung verschiedener Perspektiven. Allerdings werden auch Schwächen und Grenzen der Sprache aufgezeigt, da nicht jedes Wort bei Sprechern dieselbe Bedeutung hat. (Sturm 2010, S. 2) Deshalb war es ein Ziel, auch noch andere Ausdrucksmöglichkeiten neben der Sprache einzubinden. An diesem Punkt kommt Maset ins Spiel, der die vielfältigen Ausdrucksformen der Kunst als ein geeignetes Mittel sieht, Mehrperspektivität zu einem Thema zuzulassen, aber trotzdem eine gemeinsame Kommunikationsbasis zu gewährleisten. (Maset 2005, S. 13) Dabei fungiert nicht die Sprache als Mittler, sondern die ästhetische Handlung als solche. Die Studierenden sollten über ihre Handlung miteinander in Kommunikation treten. Die eigene Wahrnehmung kann somit geäußert werden, ohne andere zu behindern oder in ihrer Sicht einzuschränken. Die Teilnehmenden sollten nach der Vermittlungssituation in der Lage sein, über komplexe Eigenschaften von Kunst wie Uneinheitlichkeit, Unabschließbarkeit, Sprachlosigkeit oder Unlogik sowohl künstlerisch, als auch sprachlich reflektieren zu können. Ihnen sollte außerdem Mut zum persönlichen Experimentieren gemacht werden, um die künstlerische Einmaligkeit selber zu erleben.

Struktur: Kunst und Pädagogik

Das Konzept unserer VMS beschäftigt sich einerseits mit der Schaffung eines besonders hohen Anteils von Arbeitszeit für eigenes künstlerisches Schaffen (KUNST) und bezieht sich andererseits auf den Aspekt der von Eva Sturm beschriebenen Grenzen von Sprache, deren Bedeutung für Rezeption, Produktion und Lehren von Kunst (PÄDAGOGIK), sowie dem Aspekt der Mehrperspektivität von Kunst. Ausgangspunkt der VMS war – bezugnehmend auf den Sprachaspekt des Zitats von Eva Sturm – eine Bildbeschreibung aus dem Roman „Das letzte Bild der Sara de Vos“ (Smith 2017, S. 7), die wir vorlasen. Die TeilnehmerInnen sollten ausschließlich mit geschlossenen Augen zuhören. Nach Ende der Beschreibung wurden die Studierenden gebeten, sich nicht miteinander über den Bildinhalt auszutauschen, erhielten die Anweisung, sich am gut ausgestatteten Materialtisch zu bedienen sowie innerhalb der folgenden 30 Minuten eine Version der Bildbeschreibung künstlerisch umzusetzen. In die Mitte unserer Präsentationswand hingen wir ein weißes Blatt als Stellvertreter für das beschriebene Bild, das nur im Buch existiert. Wir wollten am Ende der Diskussion auflösen, dass das Bild nicht existiert. Nachdem alle Teilnehmenden ihre Arbeiten zur Präsentation gebracht hatten, sollten sie die Arbeiten beschreiben in Bezug auf Ähnlichkeiten, Unterschiede, Arbeitsweise, künstlerisches Potential, Vorgehensweise, die Ängste, Erwartungen, Erfahrungen während der Arbeit. Nach dieser ersten Auswertung leiteten wir den zweiten Teil der VMS ein, indem wir die zentrale These von Eva Sturm rund um die Präsentationsfläche hängten und vorlasen.

„Ich vermute, das Bild, das Sie anschauen, hat sich verändert. Sie haben sich selbst zugesehen, wie Sie das Bild verändert haben. Sprechend-zuhörend zum Wissen kommen. Vielleicht wollen Sie längst etwas dazu tun zu meiner Rede, irgendwo anders hin weisend, widersprechend, ergänzend. Gespräche über Bilder sind bewegliche Gefüge, in denen das Sehen und Sprechen sich gegenseitig auf die Welt bringen.“ (Sturm 2010, S. 3)

Zunächst sollte die TeilnehmerInnen das Zitat erläutern und Bezüge zu der Vorgehensweise unserer VMS herstellen. Wir wollten formulieren, was die Sprachlosigkeit für den Umgang mit Kunst bedeutet und bewirken, dass die Studierenden im Hinblick auf ihre kunstpädagogische Arbeit auf die Bedingungen von Sprache für künstlerische Prozesse mit SchülerInnen schlussfolgern. Weitere Impulse in dieser Diskussion sollten sein, ob Bilder stärker sind als Sprache, ob es einfach ist über Kunst zu sprechen und was zu beachten ist am sprachlichen Zugang zu Kunst. Weiterhin nahmen wir die Beziehung zwischen Unterschiedlichkeit der Wahrnehmung und die Beschreibung von Kunst durch Sprache nochmals in den Fokus. Dazu schickten wir eine Studentin aus dem Raum, während eine andere eines der präsentierten Werke beschreiben sollte. Anschließend holten wir die erste Studentin wieder herein und ließen sie das Bild erneut beschreiben.  Obwohl beide Studentinnen das gleiche Bild vor Augen hatten, war ihre Darstellungsweise vollkommen unterschiedlich. So konnten wir einen anschaulichen Bezug über die vielfältige Wahrnehmung von Kunst und damit zu Sturms Zitat geben. Am Ende der VMS sollte noch das Geheimnis um das weiße Bild in der Mitte gelöst werden. Wir ließen die Studierenden Mutmaßungen zum Inhalt des weißen Blatts aufstellen, um mit dem allerletzten Aspekt noch auf die Mehrperspektivität von Kunst zu verweisen.

Quark und Kartoffeln

Zu Beginn war es wichtig, die Aufmerksamkeit der Studierenden zu erlangen und für eine ruhige fokussierte Stimmung zu sorgen. Nach unserer kurzen Einleitung entstand sehr schnell eine Phase konzentrierter künstlerischer Arbeit. Es wurde als positiv empfunden, ausreichend Zeit für die eigene künstlerische Umsetzung und eine große unterschiedliche Materialauswahl zu haben. Die TeilnehmerInnen präsentierten letztlich eine Vielfalt künstlerischer Arbeiten, was auf unsere konsequente Durchsetzung zurückzuführen ist, den Text einmal vorzulesen und danach die Arbeitszeit beginnen zu lassen. (Studierende, die sich verspäteten, bekamen den Text in einem separaten Raum noch einmal vorgelesen.) Diese Dynamik zum Beginn der VMS ist der kurzen und unkomplizierten, aber präzisen Aufgabenstellung zu verdanken, die wir aufgrund der Ausdehnung der Arbeitszeit so formulierten. Eine Studentin lobte die VMS als spannend und sowohl kompatibel für den universitären als auch schulischen Rahmen. Eine Erkenntnis aus der VMS war die Vertiefung unserer in der Kurzpräsentation formulierten These: Es gibt nur individuelles Empfinden und Wahrnehmen von Kunst, was durch die Vielfältigkeit der praktischen Arbeiten bestätigt wurde. Erkenntnisse der Studierenden betraf auch, dass Kunstpädagogik im Unterricht an Schulen oft einhergeht mit Kürzung der Kunst zu Gunsten der Pädagogik und wodurch wir als angehende LehrerInnen das in unserem Unterricht vielleicht ausgleichen können. Weiterhin schaffte unser kleines Sprachexperiment zur Bildbeschreibung eine gute Bestätigung des Zitats von Eva Sturm, das sozusagen der Ausgangspunkt für den Diskussionsteil der VMS bildete und eine Diskussion darüber, wie damit im eigenen Kunstunterricht am besten umgegangen werden kann, auslöste. Ergebnisse der VMS waren eine Auseinandersetzung der Teilnehmenden mit zunächst eigenem künstlerischen Schaffen und dann mit dem Problem, vor dem wir alle als zukünftige Kunstlehrende stehen werden  –  den Merkmalen, die Kunst zu Kunst machen: die Schwierigkeit der Individualität im Hinblick auf Bewertung, Verständnis und auch Grenzen. Weiterhin das Bewusstsein über die Grenzen von Sprache beim Sprechen über Kunst. Diese Aspekte sind es, die unsere VMS simpel, aber gut machten, weshalb wir sie intern auch „Quark-und-Katroffeln-VMS“ nannten. Die Schwierigkeit des Lehrenden, jedem Lernenden einen individuellen Zugang zu ermöglichen und damit verschiedene Mentalitäten zu fördern, kann diese bloße Wissensabfrage und Reproduktion ersetzen und damit die Selbstbestimmtheit der Heranwachsenden im schulischen Kontext bestärken. Die Studierenden konnten sich durch die VMS jener Problematik stellen und sie womöglich einmal mehr als Chance und Verantwortung begreifen.


Literaturverzeichnis 

– Buschkühle, Carl-Peter: Mensch – Bilder – Bildung. Herausforderungen für eine Bildung im ästhetisch-künstlerischen Bereich, in: Bering, Kunibert und Cornelia (Hrsg.): Konzeptionen der Kunstdidaktik. Dokumente eines komplexen Gefüges, Oberhausen 2011, S. 219-223.

– Herbold, Kathrin / Kirschenmann, Johannes: Bild- und Kunstvermittlung, 2013, einzusehen unter: https://www.kubionline.de/artikel/bild-kunstvermittlung, letzter Zugriff: 24.09.2017.

– Maset, Pierangelo: Ästhetische Operationen und kunstpädagogische Mentalitäten (Kunstpädagogische Positionen, Bd. 10), 2005, einzusehen unter: http://hup.sub.unihamburg.de/volltexte/2008/34/pdf/HamburgUP_KPP10_Maset.pdf, letzter Zugriff: 26.09.2017.

 – Smith, Dominic: Das letzte Bild der Sara de Vos. Berlin 2017.

 – Sturm, Eva: Wie man anlässlich von Kunst sprechend zu Wissen kommen kann. Und was das mit Kunstvermittlung zu tun hat, 2010, einzusehen unter: http://www.kunstlinks.de/material/peez/2010-11-sturm.pdf, letzter Zugriff: 26.09.2016.

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