TEXT: MARTHA TILLE
1.) Individueller Zugang zum Werk von Anne Imhof
Meine erste Konfrontation mit Anne Imhofs Werk erlebte ich durch Videoausschnitte der Performance „Angst II“, aufgeführt im Hamburger Bahnhof in Berlin im September 2016. Sofort fühlte ich mich eingesogen und vereinnahmt von der Welt, die Anne Imhof hier erschafft. Ich war fasziniert von der Vielschichtigkeit des Werkes, von den sehr eindrücklichen Bild- und Soundebenen, von den starken Emotionen, die in mir aufstiegen. Ambivalente Gefühle zwischen Angst und Faszination, Erstarrung und Irritation, Anziehung und Abstoßung kamen auf. Doch bald begann das Gefühl, Zuschauerin einer fremden Welt zu sein, zu kippen. Ich sah die düstere Überzeichnung unserer eigenen Welt, die mich tief verstörte und abstieß, aber gleichermaßen auch in ihren Bann zog. In Imhofs Werk eröffnete sich mir eine neue Art der Körperarbeit, die ich bisher nur in zeitgenössischem Tanz, insbesondere durch Werke von William Forsythe, kennen gelernt hatte. Eliza Douglas formuliert in einem Interview zu Anne Imhofs Performance Forever Rage aus dem Jahr 2015 meiner Meinung nach sehr treffend die Wirkung ihrer Performances:
Es scheint, als seien viele Leute von den Performances gefesselt, ohne genau erklären zu können warum. Es ist eine krasse Erfahrung, wenn wir das, was mit uns passiert, nicht in Worte fassen können. […] Das geht mit dem Versuch einher, etwas zu artikulieren, das sich per se dieser Artikulation entzieht; es ist also immer auch ein Versuch, die Grenzen der Sprache auszutesten. (Aigner, Douglas 2017, S. 48)
Anne Imhof begann sich in ihrer Jugend dem Malen und Zeichnen zuzuwenden und spielte später in einer Band. Das Performative Stück betrachtet sie als Zusammenführung und Weiterentwicklung dieser beiden Medien. (vgl. Imhof, Pfeffer 2017, S. 13) Bereits vor und in ihrem künstlerischen Studium drückte sie ihre künstlerischen Intentionen zunehmend durch die Performance aus. (vgl. ebd., S. 14) Über ihre künstlerische Arbeit jedoch sagt sie weiterhin: „Zeichnung ist das Medium, in dem ich mich am besten artikulieren kann.“ (ebd., S. 15) Das bedeutet, dass sie ihre Performances in Bezug auf perspektivische Überlegungen, Symboliken, Körperhaltungen und Gesten, Schichtungen und Farbgebung wie Bilder konzipiert. (vgl. ebd., S. 14) Für sie ist die Entstehung einer Performance wie ein Bildfindungsverfahren, ein Prozess, nur dass es im Vergleich zur Malerei mehrere Köpfe gibt, die an der Abstraktion arbeiten. (vgl. ebd., S. 202 und 209) Anne Imhofs Arbeit funktioniert nur durch die Symbiose mit dem Künstlerkollektiv, das sich seit 2003 um sie gebildet hat. (Vgl. Schwarze 2017, S. 202) Dazu gehören Nadine Fraczkowski als Fotografin, Billy Bultheel als Komponist, Franzisaka Eigner als Choreografin und eine sich fortlaufend verändernde und entwickelnde Gruppe an Tänzern/innen, von denen einige bereits früher in der Forsythe Company mitgewirkt haben. Ihre Stücke entstehen in enger Zusammenarbeit mit der Gruppe, wobei das Einbringen persönlicher Qualitäten und die Improvisation wichtige Bestandteile ihrer Arbeitsweise sind. (Vgl. Aigner, Douglas 2017, S. 49 sowie S. 52)Hinzu kommt, dass es trotz mehrstündiger Stücke keine Schichtarbeit gibt, wie es bei durational performances oft der Fall ist, sondern alle sind von Anfang bis Ende mit beteiligt. (vgl. ebd., S. 51)
1.1.) Die Performance „Angst II“
Die Performance „Angst“ ist eine Oper in drei Akten, die 2016 nacheinander in der Kunsthalle Basel, der Nationalgalerie in Berlin und der Biennale de Montréal aufgeführt wurden. An dieser Stelle möchte ich nur auf den zweiten Teil im Hamburger Bahnhof in Berlin eingehen. Für die Dauer von zehn Abenden schafft die Künstlerin vor hunderten Besuchern eine „malerische Komposition, die sich aus Musik, Texten, skulpturalen Elementen und Akteuren, Falken und gesteuerten Drohnen zu einem Gesamtbild zusammenfügt“. (siehe Webseite der Staatlichen Museen zu Berlin, Preußischer Kulturbesitz) Nebel taucht die Szenerie in eine mystische Atmosphäre und lässt Entferntes verschwimmen, erzeugt Unsicherheit. Das Surren einer Drohne mischt sich mit sakralen Gesängen der Performancekünstler/innen. In meinem Kopf mischt sich die Drohgebärde der Überwachungsmaschine mit den Assoziationen einer Grablegungsszene. Die Körper der Performancekünstler/innen sind mal steif und erstarrt, verfallen dann plötzlich in absurde Verrenkungen, bieten eine Balletteinlage oder türmen sich auf zu Pyramiden. Die Blicke sind gleichgültig und leer, die Körper jedoch präsent und hochkonzentriert. Über allem balanciert in schwindelerregender Höhe eine Seiltänzerin. Für mich manifestiert sich hier der Ausweg, die Freiheit und Kontrolle. Die herumliegenden Billigprodukte der Konsumgesellschaft sind die Requisiten, die mich als Zuschauerin von dieser fremden wieder in die eigene Welt zurückrufen. Denn hier treffen nicht zwei Welten aufeinander, wie es erst scheint, sondern es handelt sich um das Spiegelbild einer einzigen, unserer Welt.
1.2.) Die Performance „Faust“
Nur ein Jahr später entsteht Anne Imhofs „Faust“, mit dem sie 2017 den Deutschen Pavillon während der Biennale von Venedig bespielt. Der Deutsche Pavillon ist ein monströser, faschistischer Bau aus den 1930er Jahren. Anne Imhof versteht ihre Performance als Antwort auf die in der Architektur liegende Brutalität. (vgl. Imhof, Pfeffer 2017, S. 18) Vor dem Gebäude lässt sie große Hundezwinger anbauen, die zur Eröffnung mit Dobermännern besetzt werden. Anne Imhof impliziert damit ganz bewusst verschiedene Denkrichtungen: Der Hund als Bewacher, Beschützer, als Statussymbol, Eigentum oder Schmuckstück. Der Zaun als Abtrennung provoziert Fragen nach der Ein- und Ausgrenzung, der Macht und Ohnmacht. (vgl. ebd., S. 17)
Im Inneren des Bauwerks lässt Anne Imhof Glasböden einziehen und greift so in die Proportionen von Besucher/in und Bauwerk ein. (vgl. ebd., S. 18)Die Architektur bleibt dennoch sichtbar, die Performance spielt sich vor und hinter dem Panzerglas ab. Der Zuschauende scheint auf eine irritierende Art Einfluss zu nehmen und sich dennoch nicht im ungreifbaren Kosmos der Performancekünstler*innen zu befinden. Wie erschafft Anne Imhof diese Ambivalenz zwischen der Abgetrenntheit und Distanz auf der einen und der Nähe und Präsenz der Körper auf der anderen Seite?
Scheinbar aus dem Nichts erscheinende Performancekünstler*innen treiben die Menge auseinander, ringen miteinander, schreiten als Gruppe zielgerichtet durch den Raum und sind dabei nur eine Armlänge entfernt. Zeitweise werde ich als Zuschauerin Zeuge intimer Handlungen oder verharre in der Betrachtung von Bewegungslosigkeit. Doch diese Nähe wird durch verschiedene Faktoren gestört. So wirken die Künstler*innen trotz ihrer körperlichen Präsenz abwesend, sie sind „da, ohne da zu sein: untot“ (Rebentisch 2017, S. 26) wie Juliane Rebentisch es auf den Punkt bringt. Befinden sich die Performancekünstler*innen hinter dem Glas, so entsteht eine Isolation und Distanz, das Subjekt wird zum Objekt degradiert, indem es wie Tiere in einem Käfig oder Waren in einem Schaufenster wirkt. Sowohl in den abwesenden Gesichtsausdrücken, als auch in den Glasflächen würde ich eine Verbindung ziehen zur kapitalistischen Verdinglichung des Körpers. Die Thematik wird bei Imhof auch auf anderen Ebenen erzeugt, wie durch die skulpturenartige Präsentation der Künstler/innen auf gläsernen Wandkonsolen. Auch Juliane Rebentisch sieht in den modelhaften Körpern der Performancekünstler/innen die Degradierung des Körpers zur Ware. (vgl. Rebentisch 2017, S. 27)
Wie schon in der Performance „Angst“ erschafft Imhof auch in „Faust“ eine Welt, die auf den ersten Blick parallel zu unserer zu bestehen scheint, beim zweiten Blick jedoch ein Spiegel unserer eigenen Realität darstellt. Ich als Zuschauerin werde eingesaugt in diese schwere, düstere und melancholische Szenerie. Juliane Rebentisch sieht darin den Ausdruck des Minderwertigkeitsgefühls, das sich einstellt, da das Individuum einem eigenen Ich-Ideal nicht zu entsprechen schafft. Darauf erwächst die depressive Teilnahmslosigkeit, die „Schwierigkeit, überhaupt eine Handlung zu beginnen“, (Rebentisch 2017, S. 29-30, zitiert nach: Alain Ehrenberg, Das erschöpfte Selbst. Depression und Gesellschaft in der Gegenwart, Frankfurt a. M. 2004) die auch für mich sehr ausgeprägt im Stück sichtbar ist. Rebentisch bezeichnet die melancholische Stimmung in „Faust“ als sogenannte „darkness“, ein generationsspezifischer Geschmack unserer Zeit. Sie geht noch weiter und schlussfolgert, Imhofs Stücke seien nicht selbst als depressiv anzusehen, sondern Stücke vor Depressiven. Hier lässt sich eine Parallele ziehen zu Tobias Madison, der in Bezug auf die Performance „Rage“ von einer „inneren Hölle“ spricht, in der wir uns alle befinden. Damit meint er den Leidensdruck, der dadurch entsteht, dass sich der heutige Mensch permanent mit seinen eigenen Handlungen beschäftigt und diese ständig in Bezug zu anderen Menschen setzt. (vgl. Madison 2014, S. 87) Und ist es nicht genau das, was die Performance als Kunstform ausmacht: dass sich der Zuschauer in Bezug zur Performance setzt? Das Gefühl der Entfremdung wäre dementsprechend ein Ausdruck der Übereinstimmung mit der überzeichneten Darstellung der Welt. Kerstin Stakemeier stellt in Bezug auf die Kunstform der Performance fest, diese bestehe nur durch den Besucher/in – ohne diesen verliert sie sich. Erst indem sich der Besucher/in zu den Stücken ins Verhältnis setzt, wird in ihm diese Entfremdung ausgelöst, die Emotionalität vorangetrieben. (vgl. Stakemeier 2017, S. 35)
2. Fachdidaktische Begründung der Vermittlungssituation
Anne Imhofs Werke sind so vielschichtig, dass ich mich zuerst auf den Kernpunkt ihrer Arbeit konzentrierte: Was verbindet ihre in Kapitel 1 beschriebenen Performances, was sind zentrale Elemente ihrer künstlerischen Arbeit?
Wie sie selbst auch sagt, ist ihr Werk hauptsächlich eine Synthese aus „Bild“ und „Musik“, (vgl. Imhof, Pfeffer 2017, S. 13) angereichert durch weitere Gestaltungselemente wie Gegenstände, Fotografien, Nebel, Flüssigkeiten und die Auswahl der Kleidung. Der zentrale Ausdruck liegt jedoch im menschlichen Körper und die Musik dazu ist mehr ein Soundteppich, bestehend aus Gesängen und unterschiedlichen realen und abgespielten Geräuschen. Für die Vermittlung von Anne Imhofs Werken ist also die Arbeit mit dem Körper in Verbindung mit Sound entscheidend, so dass es naheliegend ist, die Studierenden in einem Praxisteil eine eigene performative Sequenz erarbeiten zu lassen. Interessant ist hier auch Imhofs Aussage in Bezug auf „Faust“: „Es ist aber auch nicht angelegt wie ein Theaterstück, sondern wie ein Bild, das eben nur einige Stunden dauert.“ (vgl. ebd., S. 15) Durch dieses Zitat entstand die Überlegung, die Studierenden ein Standbild erarbeiten zu lassen. Jedoch entspräche dies nicht der Handlungsorientierung in Imhofs Performances. Sie selbst sagt, sie beobachtet alltägliche Gesten anderer Menschen und greift diese auf, wiederholt und abstrahiert sie bis etwas Neues entsteht. Die entstehenden „Zeichen“ können dann von allen unterschiedlich gelesen werden. (vgl. ebd., S. 16) Ein Standbild wäre statisch und zudem auf die Präsentation eines Ergebnisses ausgerichtet. Die performative Sequenz hingegen, auch wenn sie nur einige Sekunden oder Minuten dauert, ist handlungsbasiert, dokumentiert einen Prozess und ist damit am besten geeignet.
Zunächst muss dazu eine Ausgangssituation geschaffen werden, aus der heraus es den Studierenden möglich wird, praktisch arbeiten zu können. Es ist naheliegend, die beim Ansehen der Performances entstehende emotionale Wirkung und dabei aufkommenden Assoziationen als Grundlage zu verwenden und ein konkretes Werk als unmittelbaren Ausgangspunkt zu wählen. So wird vermieden, dass durch die Vorgabe von Begrifflichkeiten (z.B. Gegensatzpaare oder Themen, die sich aus ihrem Werk heraus ergeben) schon die subjektive Rezeption von uns Vermittlerinnen einfließt. Stattdessen sollen die Studierenden jeder für sich den Prozess durchlaufen, etwas wahrzunehmen und die entstehende Wirkung selbst auszudrücken. Filmausschnitte aus einer Performance zu zeigen würde ebenfalls zu viel vorwegnehmen und es bestünde die Gefahr der Nachahmung. Deshalb entschieden wir uns dazu, Soundzusammenschnitte als Ausgangspunkt zu wählen. So steht das Originalmaterial für sich, die Wirkung bleibt beim Studierenden und es entsteht Raum für die subjektive Generierung von Assoziationen. Die Performance „Angst II“ erschien uns dazu geeigneter als „Faust“, da der Sound vielschichtiger und durch das Surren der Drohne bedrohlicher wirkt. Auch bei uns selbst konnten wir feststellen, dass bei „Angst II“ in kürzerer Zeit mehrschichtige und stärkere Gefühle ausgelöst wurden. Intensiviert werden kann die Wirkung durch die Verwendung von Kopfhörern, da auf diesem Wege eine Isolation und Abgrenzung zur Außenwelt erzeugt wird.
Wir entschieden uns, auf Requisiten und andere Gestaltungselemente zu verzichten, da diese zwar in Imhofs Arbeiten fester Bestandteil sind, aber mehr eine Nebenrolle einnehmen und die Aufgabenstellung für den zur Verfügung stehenden Zeitrahmen zu komplex werden würde.
Die Erarbeitung der Sequenzen erfolgt selbstständig und wird jeweils durch einen von uns begleitet. Dabei soll die Audiodatei weiter über Kopfhörer gehört werden, um zu gewehrleisten, dass die Studierenden nicht zu weit in Diskussionen und Planungen verfallen sondern weiter in der Atmosphäre verbleiben. Anschließend führt jede Gruppe ihre Sequenz vor und auch hierbei wird der Sound dazu abgespielt. Daran sollte sich direkt ein Gespräch der Zuschauenden anschließen, um das Gesehene unmittelbar zu reflektieren. Erst im letzten Teil der Vermittlungssituation wird Anne Imhof mit ausgewählten Arbeiten vorgestellt. Dadurch bleiben der persönliche Zugang und die Erkenntnisprozesse möglichst lange im Vordergrund, bis abschließend ein Bezug zur künstlerischen Arbeit von Anne Imhof hergestellt wird.
Insgesamt besteht dann die Vermittlungssituation aus folgenden Aufgabenformaten:
- Anhören von Soundausschnitten aus „Angst II“ als Einstieg
- Assoziationskette zur direkten Verarbeitung der Eindrücke und Sammeln von Assoziationen
- Erarbeitung einer performativen Sequenz in drei Gruppen zu je 6 – 7 Personen
- Präsentation der Ergebnisse vor den anderen Studierenden
- Reflexionsgespräche der Zuschauenden über das Erlebte
- Präsentation ausgewählter Arbeiten aus Imhofs Werk
- Abschlussdiskussion
Durch den beschriebenen Aufbau wird in der Vermittlungssituation ein Wechselspiel zwischen Rezeptions-, Reflexions- und Produktionsphasen hergestellt:
Rezeption | Reflexion | Produktion |
1. Anhören der Sounddatei | 2. Assoziationskette, zwei Runden |
3. Erarbeitung einer Performativen Sequenz in Gruppen, Präsentation |
4. Zuschauen der Sequenzen der anderen Gruppen | 5. Reflexionsgespräch | |
6. Vorstellung der Künstlerin und ausgewählter Arbeiten | 7. Abschlussdiskussion und Fragerunde |
3. Beschreibung der durchgeführten Vermittlungssituation
Zu Beginn der Vermittlungssituation setzten sich die Studierenden im Kreis auf den Fußboden. Sie erhielten lediglich die knappe Anweisung, die 1:20 min dauernde Audiodatei[1] über Kopfhörer zu hören und dabei die Augen zu schließen. Daran schlossen sich unmittelbar zwei Runden einer Assoziationskette an, die wir parallel in Powerpoint notierten. Dabei wurden folgende Wörter notiert: Trance, Meditation, Musik, Maschinist, hoch, Kreissäge, ausschalten, verstörend, geistlich, Trauma, Unbehagen, Wandel, eindringend, isoliert, weit, Rausch, Schreiner, Angst, Geister, Schmerz, warten auf Musik, Endzeitszenario, ständiger Ortswechsel, Überraschung, Freiheit. Daran anschließend wurden die Aufgabenzettel verteilt, auf deren Rückseiten die Zahlen 1 – 3 standen und dadurch die Gruppe zuwiesen. Jeder von uns drei Studentinnen folgte daraufhin einer Gruppe zu dem selbstgewählten Ort. Wir fungierten als Ansprechpartner und beantworteten Rückfragen, griffen aber nicht in den Erarbeitungsprozess der Gruppen ein.
An dieser Stelle möchte ich die Prozesse in der von mir begleiteten Gruppe beschreiben, die den Materialraum auswählte. Die Ortsentscheidung fiel schnell und das Licht blieb ausgeschaltet, die Tür jedoch geöffnet. Zunächst kam eine leichte Unsicherheit in Bezug auf die Aufgabenstellung und wie man beginnen könnte auf. Deshalb gab ich den Hinweis, dass auch die Assoziationskette mit einbezogen werden könne. Danach viel es der Gruppe leicht, sich auszutauschen und mit den persönlichen inneren Bildern zu arbeiten. Es kam das Thema eines summenden Insektenschwarmes, eines großen Organismus auf, der alles überrollt. Sie assoziierten weiter mit dem Bild einer Welle als Symbol für etwas Fortlaufendes und Bedrohliches. Jemand hatte die Idee, dass sich alle nebeneinander auf den Boden legen und dann in eine Richtung rollen könnten, als Verbildlichung einer Welle. Es herrschte die ganze Zeit rege Diskussion über die Positionen und die Art der Durchführung der Bewegungen. Die Gruppe arbeitete gemeinsam und konzentriert, einzelne Gruppenteilnehmer äußerten neue Ideen, so dass in der gesetzten Zeit eine abgeschlossene Sequenz erarbeitet werden konnte.
Anschließend präsentierte jede Gruppe ihr performatives Stück. Dabei wurde die Audiodatei teils per Handy, teils über ein transportables Soundsystem abgespielt. Bei der Präsentation der von mir begleiteten Gruppe waren alle Zuschauenden eng am Rand des Raumes zusammengedrängt und die Darsteller/innen wälzten sich langsam, die Gliedmaßen nachziehend, in eine Richtung. Die Bewegungen wirkten leblos und unmenschlich. Das Stück war recht kurz und die Bewegungen durch die Enge des Raumes begrenzt. Die Teilnehmer/innen der zweiten Gruppe hatten für ihre performative Sequenz den Flur gewählt. Sie begannen auf dem Boden in einem Kreis kniend, erhoben sich und liefen an die Wände, mit den Händen nach vorne ausgestreckt. Dann kamen sie synchron wieder zusammen und gaben sich die Hände. Es erinnerte mich an eine Fremdsteuerung des Menschen und an Zombies, das Ende an ein verschwörerisches Ritual. Die dritte Gruppe hatte eine sehr lange Sequenz im Seminarraum entwickelt und dazu auch zwei Tische mit einbezogen. Jeweils eine Person kniete auf und unter jedem Tisch. Zwei weitere liefen, Bewegungen eines religiösen Zeremoniells nachahmend, um diese Tische herum. Die Mimik war steif und eingefroren, auch hier wirkten die Darsteller/innen wie fremdgesteuert. Die Nähe zur Kirche war hier offensichtlich und sehr bildhaft dargestellt, vermutlich beeinflusst durch den getragenen Gesang der Sounddatei.
Bei jeder Gruppe wurde kurz besprochen, was zu sehen war, welche Gefühle ausgelöst wurden und welche Wirkung die Sequenz erzielt hat. Bei der dritten Gruppe führte die Diskussion hin zur Auswahl und Wirkungsweise der unterschiedlichen Räumlichkeiten. Es kam zur Sprache, dass die Räume eine Performance immer beeinflussten, unabhängig wie bewusst oder unbewusst sie gewählt und einbezogen werden. In diesem Fall wurden die Räume teilweise passend ausgewählt und in die Stücke mit einbezogen, was besonders bei der ersten und zweiten Gruppe der Fall war.
Zum Abschluss erfolgte die Präsentation von Anne Imhofs Arbeitsweise anhand der zwei jüngsten Werke „Angst II“ und „Faust“. Hier wurde auf Eckdaten, Hintergründe, Wirkungen und Symboliken sowie auf die Arbeitsweise der Künstlergruppe eingegangen. Durch die offen formulierte Frage „Habt ihr noch Fragen zu Anne Imhof?“ entstand eine längere Diskussion, in der ersichtlich wurde, dass das Werk zahlreiche Fragen aufgeworfen hatte und ein großer Bedarf nach Austausch bestand.
Quellenverzeichnis
Literatur
Franziska Aigner, Eliza Douglas: Franziska Eigner und Eliza Douglas im Gespräch. In: Pfeffer, Susanne (Hrsg.): Anne Imhof. Faust. Ausstellungskatalog Deutscher Pavillon, Biennale von Venedig 2017, Verlag der Buchhandlung König, 2017, S. 47-53
Imhof, Anne: Pfeffer, Susanne: Anne Imhof und Susanne Pfeffer im Gespräch. In: Pfeffer, Susanne (Hrsg.): Anne Imhof. Faust. Ausstellungskatalog Deutscher Pavillon, Biennale von Venedig 2017, Verlag der Buchhandlung König, 2017, S. 13-24
Pfeffer, Susanne: Anne Imhof. Faust. Ausstellungskatalog Deutscher Pavillon, Biennale von Venedig 2017, Verlag der Buchhandlung König, 2017
Madison, Tobias: Liquid Hells. In: Flash Art, 47 (2014), Nr. 299, S. 82-87
Stakemeier, Kerstin: Remote Control. In: Artforum, 55 (2016), Nr. 1, S. 336-339
Stakemeier, Kerstin: Aquarium Transformer, In: Pfeffer, Susanne (Hrsg.): Anne Imhof. Faust. Ausstellungskatalog Deutscher Pavillon, Biennale von Venedig 2017, Verlag der Buchhandlung König, 2017, S. 35-46
Schwarze, Dirk: Anne Imhof. Wenn die Nähe unerträglich wird. Ein Porträt der Künstlerin, die 2017 den deutschen Pavillon in Venedig bespielt. In: Kunstforum International, 2017, Nr. 244, S. 200-209
Internetquellen
http://www.smb.museum/ausstellungen/detail/anne-imhof-angst-ii.html, letzter Zugriff am: 26.2.2018
http://www.echo-online.de/freizeit/kunst-und-kultur/kulturnachrichten/sado-maso-faust-die-frankfurter-kuenstlerin-anne-imhof-erlaubt-sich-auf-der-biennale-fuer-deutschland-den-haertesten-beitrag_17885365.htm, letzter Zugriff am: 26.02.2018
https://www.inexhibit.com/case-studies/faust-by-anne-imhof-the-german-pavilion-at-the-venice-art-biennale-2017/, letzter Zugriff am: 26.02.2018
https://thespaces.com/2016/09/14/artist-anne-imhof-fills-berlins-hamburger-bahnhof-with-fog/, letzter Zugriff am: 26.02.2018
https://www.welt.de/kultur/kunst-und-architektur/article159096619/Anne-Imhof-bespielt-den-Deutschen-Pavillon.html, letzter Zugriff am: 26.02.2018
[1] Eigener Zusammenschnitt aus „Anne Imhof. Angst II/Film zur Ausstellung“, veröffentlicht auf Youtube durch die Freunde der Nationalgalerie, https://www.youtube.com/watch?v=bjVGOLmWmRw, Zugriff am 28.01.2018.